Die Weltlage im Schrebergarten

Das Kabarett-Theater »Stachelschweine« empfiehlt »Ausweg freihalten!«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Von Volkmar Draeger

Wie Kabarett einen Volltreffer landen kann, beweisen mit ihrer aktuellen Produktion die »Stachelschweine«. Am Beispiel einer Schrebergartenkolonie am Berliner Stadtrand verhandelt »Ausweg freihalten!« die Probleme unserer Zeit, bezieht sie zwar auf den durch außergewöhnliche Ereignisse in seinem Naturgenuss aufgestörten Verein, meint jedoch auf herrlich abstruse Weise all das, was uns täglich die Nachrichten als kruden Weltenlauf servieren. Hauptautor Linus Höke und seine Co-Schreiber Peter Gitzinger, Roger Schmelzer und Markus Müller haben ganze Arbeit geleistet und reihen zwei Stunden ein Glanzlicht ans andere.

Inszeniert hat diesen Reigen kabarettistischer Realsatire mit Hans Holzbecher der vielfach preisgekrönte Hausregisseur vom »Düsseldorfer Kom(m)ödchen«. Sein Einstand in Berlin ist den Akteuren der »Stachelschweine« bestens bekommen. Holzbecher achtet auf Tempo, gibt dennoch Zeit, Pointen wirken zu lassen, setzt auf Spiel und lässt die Akteure auch durch den Saal auftreten, was die Distanz zur Bühne verringert. Und er wartet mit jeder Menge witziger Einfälle auf, die das Publikum im Dauerlachzustand halten. Das »Stachelschwein«-Quartett fühlt sich sichtlich wohl in den Sketchen: Birgit Edenharter mit dem entlarvend trockenen Humor, Kristin Wolf als volksnahe Sexbeigabe, der wandlungsfähige Holger Güttersberger sowie Neuzugang Alexander Pluquett, der souverän vom exliberalen Grünen zum Terror-Gartenzwerg wechselt, ziehen so bissig vom Leder, dass gegen die Ansteckung mit ihrer oft hinterhältig guten Laune kein Kraut gewachsen ist.

Die beginnt mit Güttersbergers Angst, die NSA könnte ihm in den silbrig verhüllten Kopf schauen. Was die da schon finden sollten, kontert »Eva« Edenharter, die Vereinsvorsitzende. Auf ihrer Parzelle mit Bungalow, Gartenmöbeln und Liegestuhl laufen die Drähte zusammen. Die nachbarliche Friseuse lästert über Politiker unter ihrer Schneidehand, dann die Hiobsbotschaft: Der Baumarkt will einen Grünstreifen zum Parkplatz machen. Zu allem Malheur wühlt sich in Evas Idyll Tunnelossi Horst aus der Erde. Vor 26 Jahren hat er rübergemacht und auf Westlicht am Ende des Tunnels gehofft. Als er die Erde küsst, argwöhnt Eva, der Papst sei da. Und muss ihn enttäuschen: Die DDR ist pleite, Europa jetzt ebenso. Da helfe nur noch ein Kapitalabflussschutzwall, meint Horst.

Auch die mittlerweile geschiedene Maruschka, Ex-Ballettelevin aus Petersburg, hat Sorgen mit ihrem Status. Schwan soll sie mit Rücksicht auf die politische Stimmung nicht mehr sein und muss daher schwarz arbeiten, obwohl sie den Amtstest bestanden hat. Auch Patrik, als Konvertit der FDP jetzt bei den Grünen, doch noch ganz im liberalen Denken verhaftet, ist kein Gewinn: Zu sehr steckt er in Cems Allerwertesten und schleimt, wofür ihn Angela lobt, denn nur wer geschmeidig sei, schaffe es in ihre Mannschaft. Wie die Mähne, ein Rechtsscheitel, verrate, was der Politiker denke, weiß die Friseuse beizusteuern.

Dann überschlagen sich die Dinge. Einer hat die Codes der Politiker geknackt und blickt in deren Handys; durch vorausschauende Überwachung könne man erschossen werden, noch ehe man etwas verbrochen habe; und in zehn Jahren wird eh die gesamte Erde nur noch einem einzigen Superreichen gehören.

Zum Problemfall wird Horst. Bankrott ist er wie Griechenland, was die personell reduzierte Troika anlockt mit einem absurden Maßnahmekatalog: All seine Gartenwerkzeuge gehen an den Verein über, doch er könne ja Gemüse anbauen und verkaufen, um seine Schulden loszuwerden.

Zu den gloriosen Politikerideen gehört auch, was als amüsantes Pausenfinale firmiert: »Dobrindt - Das Musical«, die Geschichte eines Geschlagenen zu umgetexteten Popsongs. Weitere Wirklichkeiten halten in die Gartenkolonie Einzug. Ein paar Idylliker üben sich in Pegida-Protest wider die Bananisierung der Schrebergärten, weil Eva eine Staude im Topf züchtet. Selbst ohne Argumente protestieren sie weiter.

Dann wird doch noch ein Zaun errichtet; der Nestlé-Vertreter gräbt das Wasser ab, um es in Flaschen zu verkaufen; die gestresste Ärztin gibt Krankenhaus-Machenschaften preis; Evas Gartenzwerg, eine der köstlichsten Szenen, lässt sich in syrischen Camps ausbilden, um Rache für Geringschätzung zu nehmen. Und der Baumarkt lässt baggern, wogegen Patrik Waffen der USA anfordern will. Einziger Ausweg sind Schilder »Ausweg freihalten«, was durchaus global gemeint ist. Was ist los in unseren Köpfen, lautet das Resümee und fragt: Nur in unseren Köpfen?

Stachelschweine, Europa-Center, Tauentzienstr. 9-12, Tel.: (030) 261 47 95, www.diestachelschweine.de

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