Von Pracht geblendet

Das historische Grüne Gewölbe wieder im Dresdner Schloss

  • Gert Claußnitzer
  • Lesedauer: 5 Min.
Bereits vor zwei Jahren war ein Teil der Exponate aus der berühmten Schatzkammer der Wettiner wieder in einen restaurierten Flügel des Dresdner Residenzschlosses eingezogen. Von den ca. 4000 Werken der großartigen und auf unserem Kontinent wohl auch einzigartigen Schatzkunst-Sammlung hatte man 1080 Stücke für eine nach modernsten Gesichtspunkten präsentierte Ausstellung ausgewählt: kostbarste Pretiosen, die kleinen und größeren Kabinettstücke der Hofjuweliere, Steinschnittarbeiten, Elfenbeinschnitzereien, mit wertvollen Edelsteinen bestückte Kokosnüsse, Straußeneier, Perlmutterschnecken, darunter so exemplarische Beispiele der Juwelierkunst wie »Der Hofstaat zu Delhi am Geburtstag des Großmoguls Aureng Zeb« von Johann Melchior Dinglinger, sowie figürliche Elfenbeinschnitzereien von Balthasar Permoser. In zehn Räumen in einem Obergeschoss des Bärengartenflügels kann man die grotesk-eleganten Kunstschätze bewundern. Dieser vollendeten Schaustellung schließt sich nun das »Historische Grüne Gewölbe« im Erdgeschoss an, acht Räume im barocken Ambiente mit nahezu 3000 Exponaten der Schatzkunst. Ein grandioses Gesamtkunstwerk, das Einblick in die theatralische Struktur barocken Bauens gewährt, mithin kein bloßes museales »Gewölbe« für all die Pretiosen und kostbaren Juwelengarnituren, sondern gleichsam ein »Schatzbehälter», selbst ein Architekturjuwel voller Grazie und groteskem Übermut und ganz und gar auf eine malerische Wirkung ausgerichtet. Es ist das Herzstück des ganzen Grünen Gewölbes. Geschaffen von keinem Geringeren als dem genialen Barockbaumeister Matthäus Daniel Pöppelmann, dem Schöpfer des Dresdner Zwingers, jener »Schauburg«, wie Pöppelmann selbst den Zwinger einmal genannt haben soll. Das Konzept hat wohl August der Starke selbst entworfen. Und danach hat dann der Oberlandbaumeister Pöppelmann dem Ganzen seine Gestalt gegeben. Und er hat sich nicht nur auf Absegnung der Entwürfe beschränkt, sondern, wie der Denkmalpfleger Gerhard Glaser aufgrund stilkritischer Untersuchungen nachweisen konnte, über das rein Organisatorische hinaus selbst kräftig mit Hand angelegt. So gibt es im Einzelnen da und dort Übereinstimmungen mit Detailformen des Zwingers, jenem einzigartigen Kleinod des Dresdner Spätbarock. Ein Theater, wenn man so will, für Ritterspiele, Prachtaufzüge, für Zeremonien und repräsentative Aufzüge, auch für Rollenspiele in Kostümen der italienischen Komödie! Und dann gegenüber im Schlossgebäude im »Grünen Gewölbe«, auch dieses ein »Gipfelpunkt freier Phantastik«, vor den ererbten und erworbenen Pretiosen des Kurfürsten von Sachsen und Königs von Polen, den Devotionalien seiner Pracht und seines Reichtums, ist es gleichermaßen etwas Theatralisches, das sich dem Besucher dieser Sammlung mitteilt. Vom »unterhaltsamen Verblüffungselement« ist da im Katalog die Rede. Man denke nur an die fürstlichen »Überraschungseier« im Pretiosensaal, dem kostbarsten Gebilde des Grünen Gewölbes, an die auf den Konsolen der Schauwände stehenden Gegenstände im Weißsilberzimmer, auf zinnoberrotem Grund vortrefflich in Erscheinung tretend. Dieses »moderne« Silber des Barock war nicht nur zum privaten Ergötzen August des Starken in stimmigen Ensembles aufgetürmt, es diente der Reputation des Herrschers. Schon frühzeitig hat er seine privaten Schätze einflussreichen Gästen aus der gehobenen Gesellschaft zur Erbauung und zum Erstaunen zeigen lassen. Vor rund 200 Jahren hat übrigens der junge Arthur Schopenhauer die Schatzkunst August des Starken gesehen und in seinem Reisejournal von 1804 festgehalten, dass, nachdem er schon viele Schatzkammern gesehen habe, das Dresdner Grüne Gewölbe alle an Reichtum übertrifft. »Man glaubt sich in einen Feen-Palast versetzt und wird von der unendlichen Pracht geblendet, wenn man die glänzenden Zimmer betritt, in denen sich die kostbaren Gefäße und Spielwerke von Diamanten an den Spiegelwänden vervielfachen.« Neben dem Zwinger, jener schönsten Rokoko-Außenarchitektur, ist das Grüne Gewölbe, die »rätselhafte Schale« für die Luxusgegenstände der sächsischen Potentaten ein außergewöhnliches Beispiel für die spätbarocke Innenraumgestaltung, raumschön und sachgemäß, in seiner Dekoration, den emblematischen Anspielungen, den stilisierten Wappen, der luxuriösen Ornamentik, die scheinbar keinem Regelzwang mehr gehorcht. August der Starke hatte ja seinerzeit auf seiner Kavalierstour durch Europa zahlreiche Beispiele für solche Prachtentfaltung gesehen, am Hofe Ludwig des XIV. in Frankreich etwa, aber auch in Spanien, in Italien. Ihm schwebte ein gewaltiges barockes Schlossareal vor, von dem es Pläne gibt, das aber niemals realisiert werden konnte. Einzig der Zwinger, der monumentale Schauplatz für des Königs Feste, nahm Gestalt an. Und das Grüne Gewölbe im alten Schloss installiert, das in seiner Originalität nicht Seinesgleichen hat, auch wenn florentinische und französische Eindrücke hier offensichtlich Verarbeitung fanden. Der »Reiz der Überraschung und das Irritierende« geht von diesem theatralischen Gesamtkunstwerk aus. Gewiss, der Gedanke eines solchen Gebildes entsprang der souveränen Laune des Königs und der Reiz der Formsprache entspricht einer Endzeit. Das Werk führt, wie einmal gesagt wurde, in »ein bezauberndes Land«, das »sogar die Träume der alten Poeten übertraf, wo es unmöglich war, ernsthaft zu sein, und wo man nur spielte und gespielt wurde«. Es schien lange Zeit, als sei alles unwiederbringlich dahin. Dresden nach dem Zweiten Weltkrieg eine Trümmerwüste, das Residenzschloss eine Ruine, die Kunstschätze ausgelagert und dann von der sowjetischen Armee nach Moskau und Kiew verbracht. Wir kennen ja zur Genüge die wechselvolle Geschichte der Kunstschätze, die immer mal wieder in Kriegszeiten verpackt und verborgen werden mussten. Und es ist wahrlich ein Wunder, dass sie das nahezu ohne schwerwiegende Verluste überstanden haben. 1958 von der Sowjetunion nach Dresden zurückgeführt, waren sie zuerst in einer Dauerausstellung im Dresdner Albertinum zu sehen. Doch erst jetzt, nach der Rekonstruktion des historischen Grünen Gewölbes haben sie im Residenzschloss in der »berühmten architektonischen Hülle« wieder ihren alten Platz gefunden. Man hat keine Mühen und Kosten gescheut, das Schatzkunstmuseum in neuem Glanze erstrahlen zu lassen, in einem Schloss, das man, wie gesagt wird, zu einem »sächsischen Louvre« auszubauen gedenkt.
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