Sex ohne Spaß

Live: Die Zimmermänner

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Früher, als deutsche Bands noch vernünftige Namen hatten und noch nicht Tocotronic, Rammstein oder Tokio Hotel hießen, im Jahr 1979, wurden die Zimmermänner gegründet bzw. Ede & Die Zimmermänner, wie man sich anfangs in Anspielung auf den Moderator der überaus populären Fernsehsendung »Aktenzeichen xy« nannte. Timo Blunck und Detlef Diederichsen, die seinerzeit noch in Hamburg zur Schule gingen, entschieden sich, weil in England gerade der Ska wiederentdeckt wurde, für Ska als bevorzugten musikalischen Stil. Dazu schrieben sie Texte auf Deutsch: »Ich bin etwas doof / Ich bin ja auch noch klein / Doch wenn dich das nicht stört / Dann komm ruhig herein.« Doch erfreulicherweise hielt man von Anfang an nicht starrsinnig am einmal gewählten Stil fest, sondern experimentierte fröhlich: Mal mischte man frei flottierende Heimelektronik mit Alltagsgeräuschen und öligem Roxy-Music-Saxaphon, mal ließ man sich nur von einem Streichquartett begleiten. Aber man schrieb weiter angenehm unverkopfte, unvernebelte Texte: »Meine Freundin ist in der Friedensbewegung / Und ich bin bei der Bundeswehr (...) Bald muss ich in den Krieg ziehen / Und sie diskutiert sich die Kehle wund / Während wir vor Feinden fliehen / Geht sie in den Untergrund.«

Manchmal wirkte der Rhythmus eines Stückes ein wenig, als sei etwas kaputtgegangen, aber das machte nichts. Schließlich machte man Pop, und Pop durfte alles. Irgendwann klangen die Zimmermänner dann nicht mehr nach anämischem deutschem Hobbykeller-New-Wave, sondern funky und irgendwie hauchzart, ganz wie die tollen britischen, antirockistischen und tadellos gekleideten Dandy-Popbands, die man im hüftsteifen, verkrampften Deutschland nicht hatte: Haircut 100, Scritti Politti, Heaven 17.

Im Jahr 1985, als in der Bundesrepublik überwiegend Musik von gefönten Schnulzensängern und zottelmähnigen Schnauzbartträgern beliebt war, die gestreifte oder glänzende Spandexhosen trugen, lösten die leider nur von einer geschmackssicheren Minderheit verehrten Zimmermänner sich wieder auf. Eine Ewigkeit später, 2007, tauchte die Band dann kurzzeitig wieder auf und legte ein Album mit dem überzeugenden Titel »Fortpflanzungssupermarkt« vor, über das es im »Spiegel« hieß: »So also klingt Pop für Menschen, die nicht automatisch ihr Gehirn ausschalten beim Musikhören.«

Auch was die Betitelung ihrer Platten angeht, hat das Duo Blunck/Diederichsen sozusagen Maßstäbe gesetzt: Ihr denkwürdiges Debütalbum »1001 Wege Sex zu machen ohne daran Spaß zu haben« (1982) gehört - neben »Die Unfähigkeit zu frühstücken« (1986) von Foyer des Arts, »Ich schäme mich Gedanken zu haben die andere Menschen in ihrer Würde verletzen« (1989) von Mutter und »Endlich tot« (1999) von Max Müller - wohl unbestritten zu den am schönsten betitelten Pop-Platten deutscher Sprache.

Seit letztem Jahr sind die Zimmermänner (der eine ist heute Bereichsleiter für Musik, Tanz und Theater im Berliner Haus der Kulturen der Welt, der andere macht Musik für Werbefilme) nun wieder da, mit einem neuen Album (»Ein Hund namens Arbeit«). Hier ist nichts schwergängig. Die Zimmermänner sind die deutsche Antwort auf Prefab Sprout. Sie machen zeitlos schöne, elegant federnde Popmusik, die diese Bezeichnung verdient und vielleicht sogar ein bisschen subversiv ist. Wer noch bei Verstand ist, sollte ihr heutiges Konzert in Berlin nicht versäumen.

Konzert am 7.5., 22 Uhr, im »Ausland«, Lychener Str. 60, Prenzlauer Berg

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