Volksnähe - keine Phrase

Erich Buchholz erzählt, wie er dem Unrecht wehrte

  • Detlef Joseph
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Der Titel des Buches ist Programm. Und in der Tat, Erich Buchholz hat als Strafrechtswissenschaftler, Hochschullehrer und Rechtsanwalt viel Erfahrung über den Umgang mit dem Recht erlangt, über die er in seinen Erinnerungen schreibt. Er verfügt über einen reichen Schatz an Kenntnissen darüber, wie und wofür Strafrecht gebraucht und auch missbraucht werden kann und wird. In seiner Jugend erlebte er den Untergang des faschistischen deutschen Reiches. Dem Tode ist er im Kessel von Halbe durch glückliche Fügung entgangen. Verständlich, wenn er die neonazistischen Aufmärsche an diesem Ort zutiefst verurteilt. Zunächst verliefen seine Versuche, ein juristisches Studium zu beginnen, erfolglos. Wie er später erfuhr, war das keineswegs zufällig. Schließlich gelang es ihm doch, zum Studium zugelassen zu werden. Bis der Eintritt in die Humboldt-Universität erfolgte, arbeitete er als Dienstanwärter in einem Finanzamt und konnte aus eigenem Erleben die Ursprünge der Spaltung Berlins und Deutschlands beobachten. Dann endlich - das Jura-Studium. Es ist interessant zu erfahren, wie sich das Studium 1948 und in den folgenden Jahren gestaltete. Schon damals begriff Buchholz den Widerspruch zwischen dem gesetzten Recht und der Wirklichkeit des Lebens. Insbesondere beim Studium des BGB prägte sich ihm die Erkenntnis ein, dass jedes Recht stets bestimmten Interessen dient, die sich oftmals hinter den verklausulierten Formulierungen vorzüglich verbergen und Neutralität vorspiegeln. Sein Fähigkeiten und Interessen führten dazu, dass er nach dem Studium in das Institut für Strafrecht der HUB aufgenommen wurde und mit Lehrverpflichtungen und wissenschaftlicher Tätigkeit befasst war. Buchholz schildert seine weitere wissenschaftliche Laufbahn, die über die Promotion zum Doktorat und schließlich zur Berufung als Professor führte. Es war logisch und konsequent, dass er, da er über richterliche Strafzumessung promovieren wollte, zum nebenamtlichen Richter berufen wurde. Er konnte mithin die Strafzumessung praktisch selbst handhaben. Wenn man die heutige Justiz erlebt, dann ist es von besonderem Interesse zu erfahren, wie sich die richterliche Tätigkeit in der DDR beispielsweise im Umgang mit den Schöffen und bei Justizaussprachen mit der Bevölkerung gestaltete. Volksnähe der Justiz war jedenfalls in der DDR keine Phrase. Da Buchholz kein weltabgewandter Wissenschaftler war, erlebte er beispielsweise das Ereignis des 17. Juni 1953 und dieses zwar keineswegs als einen, wie es zeitgeistgemäß posaunt wird, »Volksaufstand«. Buchholz verweist auf die wissenschaftlichen Probleme, die in der DDR eine Rolle spielten, wie z.B. die These, dass Verbrechen stets Ausdruck von Klassenkampf seien. Bedauerlicherweise hat Buchholz sich der Babelsberger Konferenz von 1958 nur höchst kursorisch erinnert. Seine Ansicht, diese habe keine negativen Auswirkungen auf das Strafrecht und die Strafrechtswissenschaft gehabt, ist doch wohl etwas kurz geraten. Wichtig für heute, wo das Verbot der KPD von 1956 noch immer andauert, sind die Ausführungen von Buchholz über die Rechtssituation in der alten BRD. Er arbeitete damals mit an der Publikation »Staat ohne Recht. Des Bonner Staates strafrechtliche Sonderjustiz in Berichten und Dokumenten« (Berlin 1959). Bedeutsam sind seine Ausführungen auch deshalb, weil das damals praktizierte politische Unrecht bedauerlicherweise dann auch für die DDR-Bürger nach dem Anschluss höchst real wurde. Buchholz erinnert sich auch der internationalen Arbeit, die er als Strafrechtswissenschaftler leistete. Und daran, wie intensiv das Interesse für die Rechtswissenschaft und Rechtspraxis der DDR war. Mit Aufmerksamkeit nahm man z. B. zur Kenntnis, wie sich der Staat um die Wiedereingliederung der Haftentlassenen bemühte. Es versteht sich, dass die Zeit nach dem Anschluss der DDR an die BRD von Buchholz umfassend behandelt wird. Schließlich arbeitete er als Rechtsanwalt u. a. zur Verteidigung von Bürgern der DDR, die wegen ihrer legitimen Tätigkeit in der DDR nun vom bundesdeutscher Strafverfolgung erfasst wurden. Die von ihm dabei gemachten Erfahrungen mit dem bundesdeutschen Justizsystem weisen dieses keineswegs als vorzüglich aus. Ein wichtiges Buch aus...

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