»Und dann wird durchregiert«

Schwarz-rotes Prestigeobjekt Gesundheitsreform wird in der Warteschleife zerredet

  • Gabriele Oertel
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.

Vermutlich ungern lässt sich Angela Merkel daran erinnern, dass sie im Sommer 2005 im Überschwang des schon sicher geglaubten Unions-Wahlerfolges vor der Presse ausrief: »Und dann wird durchregiert«. Merkel wurde vor einem Jahr Kanzlerin einer Großen Koalition - und vom Durchregieren kann seither keine Rede sein. Aktueller Beleg: Gesundheitsreform.

Das gestrige Treffen der koalitionären Fachleute aus Bund und Ländern zwecks Beratung noch offener Punkte bei der Gesundheitsreform stand freilich unter keinem guten Stern. Vor einer Woche hatte die Kanzlerin nach monatelangem Hin und Her um Kassen, Fonds und Beitragserhöhung die Notbremse gezogen - und den Reformstart um drei Monate verschoben. Die einen bewerteten das als Zeichen für Versagen und böses Omen für die Große Koalition, andere sahen damit lediglich einen neuen Startschuss für Zweifelsäußerungen jedweder Art gegeben. Dabei wird das Schlachtgetümmel immer unübersichtlicher. Mit der einfachen Formel SPD gegen Union ist es längst schon nicht mehr zu umreißen. Denn auch innerhalb der beiden Regierungsparteien wird das Für und Wider des als Prestigeobjekt von Schwarz-Rot geltenden Reformwerkes ein ums andere Mal aufgerufen. Da mussten schon eiligst Diskrepanzen zwischen dem von SPD-Vizekanzler Franz Müntefering geführten Arbeitsministerium und dem ebenfalls SPD-geführten Gesundheitsministerium dementiert werden. Und seit einer Woche vergeht kein Tag, an dem nicht der eine oder andere Spitzenpolitiker aus den Unions-regierten Ländern »weiteren Klärungsbedarf« oder gar ein mögliches Nein im Bundesrat zu Protokoll gibt. Es sei ganz natürlich, dass sich Experten in den Ländern um den Entwurf von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt beugten, um ihn auf Schwachstellen abzuklopfen, erklärte erst gestern Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU). Geklopft wurde schon viel - wenn auch oftmals nur auf den Busch. Und wie zu erwarten, war dabei auch Merkels ewiger Widersacher Edmund Stoiber mit von der Partie. Während aber Milbradt ebenso wie seine saarländischen und baden-württembergischen Amtskollegen Peter Müller und Günther Oettinger (beide CDU) ihren um die heimischen Pfründe besorgten Einwänden eilfertig hinzusetzten, ihre Kritik richte sich nicht grundsätzlich gegen die Reform, geht ihr Parteifreund Karl-Josef Laumann, Sozialminister in Nordrhein-Westfalen und Chef der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, einen gewaltigen Schritt weiter. »Man muss nicht jeden Unsinn mitmachen, damit die Koalition bleibt«, lehnte der am Mittwoch eine Einigung um jeden Preis ab. Dass die Kanzlerin ausgerechnet aus NRW - nach den sie augenscheinlich nervenden Auslassungen von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) über die Lebenslügen der Union - mit einer neuerlichen Attacke konfrontiert wird, dürfte Angela Merkel wenig amüsiert haben. Und löst beim Koalitionspartner geradezu Ängste aus. SPD-Chef Kurt Beck jedenfalls sorgt sich - wenn auch vermutlich weniger um den Stimmungspegel der Kanzlerin. Er hält die »permanenten Störfeuer« aus den Reihen der Union für schwer verkraftbar. Und während Franz Müntefering als Vizekanzler schon von Amts wegen nicht müde wird, den Koalitionsfrieden an sich zu beschwören, hat sein Fraktionschef Peter Struck schon vor Tagen das ganze Dilemma auf den Punkt gebracht: Die Gesundheitsreform müsse gelingen, »damit die Koalition bis 2009 hält«. Egal...

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