Die Vietnamesin Lan träumt vom Glück in China

Männerüberschuss im Reich der Mitte lässt den grenzüberschreitenden Heiratsmarkt blühen

In der Internet-Anzeige lächelt ein bildhübsches vietnamesisches Mädchen. »Lan ist 19 Jahre alt und kann selbstständig einen Haushalt führen«, heißt es im Text. »Lan ist gut erzogen und wird auch ihrem Sohn eine gute Erzieherin sein.« Das Mädchen sucht einen Mann, nicht in ihrem vietnamesischen Heimatdorf, sondern in Taiwan oder China.

Die Chancen der Vietnamesin sind ausgezeichnet. Seit 25 Jahren gilt in China die Einkindpolitik. Die erste Generation chinesischer Einzelkinder ist inzwischen im heiratsfähigen Alter. Und die jungen Männer sind in der Überzahl: Auf 100 Mädchen, die in China geboren werden, kommen 118 Jungen. Da man das Geschlecht des Kindes schon vor der Geburt bestimmen kann, werden Mädchen im Reich der Mitte seit etwa 20 Jahren oft abgetrieben. Wenn schon nur ein Kind, so die traditionelle Vorstellung, dann ein Stammhalter, der später für die Eltern sorgen soll. Für das Jahr 2020 rechnen chinesische Statistiker mit einem Männerüberschuss von 40 Millionen. Und weil die nicht alle Junggesellen bleiben wollen, blüht der Heiratsmarkt, auf dem Frauen aus südasiatischen Staaten wie Vietnam, Myanmar und Kambodscha angeboten werden. Die Nachfrage aus dem nördlichen Nachbarland stößt in unterentwickelten Regionen Vietnams auf eine hohe Ausreisebereitschaft. Ganze Landstriche in Zentralvietnam oder im nördlichen Bergland, an der Grenze zu China, hat der Wirtschaftsaufschwung längst noch nicht erfasst. Für Mädchen gibt es nur zwei Möglichkeiten, der Armut zu entkommen: Entweder sie studieren und erlangen eine gut bezahlte Anstellung oder sie heiraten in eine reiche Familie, auch im Ausland. Weil das Studium teuer ist, bleibt vielen nur die Heirat. Und dass chinesische Junggesellen wegen des Frauenmangels bereit sind, einen Brautpreis für die Familie des Mädchens zu zahlen, ist ein wichtiger Effekt: Das Geld gilt als Dank für die gute Erziehung der Tochter und gleichzeitig als Entschädigung, dass man deren Arbeitskraft im Haushalt und auf dem Feld künftig wird entbehren müssen. In Vietnam selbst ist die Mitgift in den letzten Jahrzehnten aus der Mode gekommen. Nur in sehr entlegenen Gebieten hat sie sich erhalten. Gerade in Dörfern werden Mädchen so erzogen, dass sie sich für die Familie opfern müssen. Sie sehen es oft als Glück an, wenn sie ihren Eltern mit dem Brautgeld aus der Armut heraushelfen und ihnen womöglich auch nach der Hochzeit mit Geld unter die Arme greifen können. Das eigene Schicksal ist vielen Mädchen dabei gar nicht so wichtig. Dass man im Ausland reich ist, steht für Mädchen aus unterentwickelten Regionen außer Frage. Die Familien, die sich große Häuser leisten können, haben Verwandte in den boomenden vietnamesischen Metropolen Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt oder eben im Ausland. Die haben das Geld für den Hausbau geschickt. Und die Eltern in den Dörfern sind stolz auf ihre Kinder, die es angeblich so weit gebracht haben. In vietnamesischen Zeitungen mehren sich die Stimmen, die vor dem vermeintlichen Glück warnen: So wurden im Juli in der Stadt Viet Tri, unweit des Dorfes, in dem Lan auf einen reichen Chinesen wartet, vier Mädchen - die jüngste gerade 14 Jahre alt - von der Polizei aus einem Verlies befreit. Sie sollten nach China verkauft werden. Die vietnamesische Polizei, die in diesem Jahr schon mehrere Händlerringe zerschlagen hat, geht davon aus, dass ihre Bestimmung dort nicht die einer Ehefrau war, sondern die einer Prostituierten. Auch die sind in China knapp. Die Zeitungen berichten sogar über Entführungen nach China. Im Frühjahr wurde in Ho-Chi-Minh-Stadt eine Vermittlungsagentur ausgehoben, die Angebote vietnamesischer Mädchen ins Internet gestellt hatte. Vietnams Frauenunion warnt aber auch vor dem Streben nach einem reichen Mann in China: Viele der Frauen sind gerade einmal die fünf Pflichtjahre zur Schule gegangen, beherrschen keine Fremdsprache und sind deshalb in China hilflos. Oft auch rechtlos. Denn ihr Aufenthalt in China ist meist nicht legal. Kein Wunder, dass manche Vietnamesin nach der Geburt des Sohnes schon an ein Bordell weiter verkauft wurde. Oder sie landete wegen des illegalen Aufenthaltes im Gefängnis. Weil sie im vermeintlich reichen Ausland gescheitert sind, droht Rückkehrerinnen die soziale Ausgrenzung. Sofern sie überhaupt in ihr Heimatland zurückkehren dürfen. Denn Dokumente, die sie als Staatsbürgerinnen Vietnams aus...

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