Wo die Erdachse im Keller rotiert

Das sächsische Pausa hat eine ganz spezielle Kuriosität zu bieten, deren Ursprung unklar ist

  • Jörg Schurig, Pausa
  • Lesedauer: 3 Min.
Selbst ein kleiner Ort wie Pausa im sächsischen Vogtland kann weltbewegend sein. Im Keller des hiesigen Rathauses ragt eine Erdachse aus dem Boden. Gäste dürfen »ölen« - mit einem Likör.

Geld regiert nicht nur die Welt, sondern bewegt sie auch. Zumindest lässt sich das im Rathauskeller von Pausa an der Grenze zwischen Sachsen und Thüringen beobachten. Wer da an einer hölzernen Tür 50 Cent in einen kleinen Schlitz wirft, erfährt eine besondere Erleuchtung: Plötzlich geht hinter einer Scheibe ein Licht an, und vor den Augen des Besuchers dreht sich eine knapp einen Meter aus dem Boden ragende Welle: die Erdachse. Peter Hahn, Chef der »Erdachsendeckelscharnierschmiernippelkommission« sagt, dass die metallene Achse je nach Härte der eingeworfenen Münze unterschiedlich lange rotiert.

Auch überirdisch erhebt die im Jahr 1263 erstmals urkundlich erwähnte Stadt Pausa einen zentralen Anspruch. Auf dem Rathausdach dreht sich seit Mitte der 1930er Jahre ein gläserner Globus mit der Aufschrift »Pausa - Mittelpunkt der Erde«. Allerdings ist die Welt hier etwas aus den Fugen geraten: Die Erde bewegt sich genau andersherum als im wirklichen Leben.

Bürgermeister Jonny Ansorge (CDU) gibt den Linksdrall unumwunden zu: »Andernfalls hätte man die Aufschrift nur schwer lesen können.« Dem 60 Jahre alten Stadtoberhaupt ist es egal, ob auch andere Städte den Anspruch auf das Weltzentrum erheben. Angeblich soll Pausa schon vor langer Zeit als Mittelpunkt der Erde bezeichnet worden sein. Wie es dazu kam, lässt sich nicht genau ermitteln. Deutungen gibt es viele. Eine Version geht davon aus, dass der Ort einst das Zentrum des Vogtlandes war. Von da bis zur großen weiten Welt ist es scheinbar nur ein kleiner Schritt.

Die vogtländische Tageszeitung »Grenzbote« vermutete in ihrer Ausgabe vom 18. Oktober 1918 sozialpolitische Hintergründe. Die scherzhafte Titulierung sei im Volk zu einer Zeit entstanden, als vogtländische Kleinstädte wegen ihrer tristen wirtschaftlichen Lage zum Gespött wurden. Pausa sei als Residenz der Armut ironisch zum Mittelpunkt der Welt erhoben worden.

Eine andere Deutung entstammt der Zeit um etwa 1850 und erzählt von Saufkumpanen, die wohl nur am Stammtisch im Ratskeller ihr Gleichgewicht fanden und den Keller deshalb als Mittelpunkt verehrten. Ohne einen 35-prozentigen Likör läuft die Erdachse auch heute nicht rund.

Touristen wird der Schnaps in zwei Varianten ausgeschenkt. Nach Anblick der drehenden Achse dreht es sich bei manchen in der benachbarten Schmierstube weiter. Dort wird bei viel Likör erzählt, wie Pausa zum Dreh- und Angelpunkt avancierte. Peter Hahn ist um Interpretationen nicht verlegen: »Wir stellen uns auf die Gäste ein - je nachdem, was sie hören wollen.« So ziemlich alle sähen das mit Humor. Tatsächlich gebe es aber hin und wieder Leute, die ernsthaft meinten, das könne doch alles gar nicht sein.

Etwas steht fest, da kann die Erdachse noch so schnell rotieren: Für Pausa ist der Status als Mittelpunkt einträglich. Jedes Jahr wollen im Schnitt etwa 1000 Besucher die Achse sehen. E-Mails bekommt Bürgermeister Ansorge aus aller Welt; erst im Juni hat ihm ein kanadischer Amtskollege geschrieben. Ein Professor aus Dresden kommt regelmäßig mit Studenten aus dem In- und Ausland angereist, um in der Schmierstube über Gott und die Welt zu fachsimpeln.

Einträge im Gästebuch von Besuchern aus vielen Ländern zeugen davon, dass Pausa mit seinen rund 5300 Einwohnern Anziehungskraft ausübt. Dass die Stadt im Jahr 1992 nach einem Gebietswechsel von Thüringen nach Sachsen kam, hat am Weltenlauf übrigens nichts geändert. In Pausa fühlt man sich vor allem als Vogtländer. dpa/nd

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