Auf den Spuren König Naresuans

Sommerliches »Makruk«-Turnier bringt uralte Thailandkultur nach Hamburg. Von Art Kohr

  • Art Kohr
  • Lesedauer: 4 Min.

Bauchige kleine Kegel stehen Spalier, wie aus dem Experimentierkasten eines Pagodenbaumeisters. Dazwischen die Köpfe stolzer Pferde, die sich gerade zu sammeln scheinen für den großen Aufgalopp. Hinweg über eine Reihe runder Stolpersteine, die eine vorgeschobene Frontlinie markieren. Gleich wird Bewegung kommen in dieses Stillleben, das unwillkürlich die Vision von entrückten Tempeln am Ufer des Chao Phraya aufkommen lässt. Während aus anderen Sphären zarte Melodien herüber zu wehen scheinen, die allein der Betrachter hören kann.

Dabei geht es hier eigentlich bloß um Schach. Allerdings wird an diesem Sommersonnabend in der Universität Hamburg nicht die sonst übliche Standardversion verhandelt, sondern eine spezielle Version der Mattkunst, die sich in Thailand entwickelt hat und dort ungemein populär ist: »Makruk« oder auch »Siamschach«. Solche Wett- und Schaukämpfe gehören zu den Highlights während des Südostasientages 2015 im Afrika-Asien-Institut wenige Schritte von Hamburgs Bahnhof Dammtor entfernt. Anwesende südostasiatische Botschafter, darunter auch Indonesien und Thailand, diskutieren die aktuelle politische Situation in der Region. Und zwischendurch werden die fachkundigen Besucher mit Kampfsportvorführungen, traditionellen Tänzen - und eben von viel Makruk unterhalten.

Warum das ein wichtiger Programmpunkt ist, erläutert der Hamburger Journalist und nd-Autor René Gralla. Zusammen mit dem Schachlehrer Jürgen Woscidlo hatte er bereits 2012 das erste Makruk-Event organisiert: »Wer sich auf das Spiel einlässt, hat nicht nur Spaß wegen der intellektuellen Herausforderung, sondern wird auch viel über die Kultur des Landes erfahren.«

Das beginnt bereits mit den leicht abgewandelten Regeln. Im Makruk fehlen zwei Figuren, die das bekannte Normaloschach gerade für Anfänger schwer zu kontrollieren und oft frustrierend machen: die alles niederwalzende Dame und die hektischen Läufer. Stattdessen stehen dem Siamschach-König auf dem Brett ein bescheidener Adjutant und zwei auch nicht übermäßig ambitionierte adlige Berater zur Seite. Konsequenz: »Selbst Neueinsteiger halten einem erfahrenen Gegner lange genug stand, so dass eine Niederlage nicht als richtig demütigend empfunden wird«, erläutert Turnierchef Gralla. Ein Gesichtsverlust werde vermieden, und das sei äußerst wichtig im thailändischen Gesellschaftsleben.

Gleichzeitig macht Makruk den Interessierten mit zentralen Akteuren aus Siams stolzer Vergangenheit bekannt. Legendäre Herrscher schätzten das Spiel als strategische Übung, und einer von ihnen hat jetzt der Hamburger Veranstaltung posthum seinen Namen gegeben: Naresuan der Große, der die Nation Ende des 16. Jahrhunderts vor den Birmanen rettete und dessen 460. Geburtstag 2015 gedacht wird. Entsprechend heißt die Hamburger Veranstaltung »PTT King Naresuan The Great Memorial Makruk Tournament« - wobei das einleitende Kürzel einen gewichtigen Sponsor signalisiert: Thailands staatlicher Erdölkonzern PTT, der auch in seinem Stammland Makruk-Meisterschaften organisiert.

Der Hamburger Leistungsvergleich geht zudem in enger Kooperation mit Thailands Naresuan University in Phitsanulok über die Bühne, die sich dem Erbe des Kriegerkönigs verpflichtet fühlt; das Dekanat hat eine Miniatur ihres royalen Patrons als einen der Hauptpreise gestiftet. Zudem ist dieses Hamburger Turnier der symbolische Auftakt eines transkontinentalen Doppelevents: Justament nach der letzten Runde an der Elbe starten mehrere tausend Flugkilometer östlich Makruk-Wochen, auch zu Ehren von König Naresuan. Anzumerken noch dies: Die deutsche und die thailändische Universität haben auf Initiative von Makruk-Experte Gralla ein Joint Venture angeschoben. Zum einen soll untersucht werden, wie sich Makruk in Siams Literatur und bildender Kunst niedergeschlagen hat und von den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen rezipiert worden ist. Zum anderen ist ein Sozialprojekt angedacht. Thaischach soll auch in die entlegenen Dörfer gebracht werden, um die Generationen im Spiel zu vereinen und ihre Denkleistungen zu fordern und zu fördern.

»Heute ist der erste Tag einer langen und spannenden Reise«, kann denn auch Professor Volker Grabowsky vom Hamburger Afrika-Asien-Institut ohne Übertreibung sagen, als er die Turnierteilnehmer begrüßt. Die Titelanwärter, unter ihnen Schüler des Schachlehrers Woscidlo, geben dann entsprechend richtig Gas. Die stilisierten Minipagoden des Makruk-Szenarios entfalten eine ungeahnte Eigendynamik, landen mal hier, mal dort, blitzartig platziert von flinken Händen, und allenthalben stürmen auch die Pferde der Siamarmeen durchs Getümmel. Schach muss wirklich nicht langweilig sein und kann auch den Zuschauern etwas bieten, zumal für das Hamburger Naresuan-Memorial eine verkürzte Bedenkzeit von zehn Minuten gilt.

Ungeschlagen setzt sich am Ende ein Mann durch, der Makruk einst im Familienkreis lernte und heute mit seiner Lebenspartnerin ein thailändisches Restaurant in Hamburg führt: der 53-jährige Weeraphon Junrasatpanich. Doch gleich dahinter folgen junge Supertalente aus Woscidlos Kaderschmiede: der neunjährige Ghreesham Manjunath, der bravourös auf Platz zwei kommt (eindrucksvoll demonstrierend, warum Indien, die Heimat seiner Eltern, als Geburtsland des Schachspiels gilt), sowie der zehn Jahre alte Konrad-Leo Adler auf Platz drei. Auch kluge deutsche Kinder entdecken Makruk. Dem klugen König Naresuan hätte das sicher gefallen.

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