Eine kurze Anleitung, wie man die Faschisten heute küsst

  • Roberto de Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.
Wo ist der Spaß am provokanten Protest? Manche Demo wird heute mit trockener Steifheit absolviert. Was fehlt ist Freude und gebotener Zynismus. Angesichts der wachsenden polizeilichen Soldateska auf den Straßen wären vielleicht neue alte Protestformen gar nicht übel.

Ich war neulich auf einer Blockade-Demo gegen eine Gruppierung dieser selbsternannten Patrioten. Die Rechtsextreme Ester Seitz hatte in Frankfurt zur Kundgebung und zum Marsch durch die Stadt aufgerufen. Einige verirrte Gestalten kamen dann auch aus aller Herren Bundesländer. Hooligans und Hetzer fanden sich ein.

Unterschiedlichen Angaben zufolge waren zwischen 120 und 180 Leute anwesend. Familientreffen also. Die Gegner müssen Tausende gewesen sein. Verschiedenste Menschen waren da. Antifa natürlich. Engagierte Bürger aus allen Altersklassen und Schichten. Linke und solche, die keine Richtungsangabe hatten. Ziel war es, wenigstens den Marsch zu verhindern. Was bei diesem Zahlenspiel natürlich gelang.

Die Polizei exekutierte der Rechten Recht nicht und ließ sie nur in ihrem Käfig auf dem Frankfurter Roßmarkt lustwandeln. Das muss ein heiteres Bild abgeben haben. Wir sahen es ja nicht. Man hielt uns fern. Und wahrscheinlich waren die meisten Teilnehmer es ohnehin gewohnt, auf abgeschlossenen Areal im Kreis zu laufen. Ich fragte mich aber irgendwann, ob der Aufwand eigentlich lohnte bei einer Handvoll solcher Leute. Hätte man sie nicht doch laufen lassen sollen?

Es gab Musik und die Leute waren nicht alle ernst. Viele der Gegendemonstranten, die die Blockade sein wollten, hatten auch Freude an ihrem Tun. Aber eine Vielzahl der Teilnehmer wirkte viel zu gravitätisch, ja geradezu verstockt. Es ging ihnen irgendwie die Freude an der politischen Aktion ab, die man in den Sechzigerjahren bei vielen Kundgebungen als unbedingt nötig erachtete. Wo war der Spaßguerillero geblieben? Er fehlte mir und ich glaubte, man hätte mehr Freude an so einer Aktion haben können, wenn man das Häuflein Patrioten durch die Straßen Frankfurts hätte laufen lassen.

Was wäre denn dabei gewesen? Es war ja kein Massenauflauf. Der Massenauflauf waren wir. Hätte es nicht gereicht, wenn wir als Passanten und Zuschauer die Bürgersteige hinter den Absperrungen besetzt hätten und dann, wenn diese Patrioten - vorne voran diese lächerliche Frau Seitz in Deutschlandflagge gehüllt – gekommen wären, gelacht und mit dem Finger auf sie gezeigt hätten. Wenn da 3.000 oder mehr Menschen stehen und lachen, mit dem Finger zeigen und Spottgesänge anstimmen, trifft man diese Leute doch ganz anders. Man kann böse schauen und Stinkefinger zeigen, wenn Glatzköpfe die Szenerie betreten. Oder man singt »Ihr habt die Haare schön« und macht sie lächerlich. Wir müssen die Faschisten doch nicht küssen, wenn wir sie treffen. Das war Tucholskys Vorstellung, wie man sie lächerlich macht. Eine spottendes Spalier ist nur eine andere Möglichkeit, die nicht ganz so feucht ist wie ein Kuss.

Und wenn dann Sympathisanten dieser Bewegung sehen, wie es ist, wenn man dem Spießrutenlaufen überstellt wird, wenn man durch ein Spalier von Lachenden kampfstiefelt, dann schreckt das vielleicht mehr ab, als Kampagnen, die diese faschistischen Familientreffen mundtot und fußtot machen wollen. All die Hubers und Müllers, die ja schon lange finden, dass wir überfremden und an Ausländern leiden, und die deshalb mit Pegida und anderen kuriosen Abbreviaturen liebäugeln und die sagen »Endlich sagt es mal jemand!«, bleiben dann lieber daheim. Nicht dass sie auf Meiers und Schulzes von Gegenüber treffen, die am Straßenrand stehen und Spottverse anstimmen.

Überhaupt würde eine solche Taktik die Konfrontation mit der Polizei vereiteln. In Zeiten, da man als »Wutbürger« diffamiert und verdroschen wird, sollte man schon in Erwägung ziehen, unantastbarer zu werden. Jedenfalls in der Theorie. Da sind Protestformen, die mit Zynismus aufmerksam machen wollen und nicht etwa mit Barrikaden und Drohgebärden, vielleicht die bessere Variante. Protestiert so, dass man bei der Konfrontation mit der Polizei wie das Opfer aussieht, nicht wie jemand, der nur zu bereit auf Gewalt wartet. Dieser Ansicht war schon Martin Luther King.

Und wenn dann übrigens auch noch Menschen aus allen Schichten gegen Freihandelsabkommen und Sozialabbau in Massen auf die Straße strömen würden und nicht nur, wenn eine Handvoll Haar- und Hirnloser dämliche Parolen gellen, dann wäre uns allen mehr geholfen. Nur dagegen reicht kein Lachen mehr. Gegen diese Gefahren muss man sich tatsächlich in den Weg stellen. Viel mehr als man es bis dato tut. 120 Neonazis sind keine Gefahr – 120 Mitarbeiter der EZB hingegen schon. Aber gegen die geht kaum einer auf die Straße ...

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