Wertewandel der Uni

Bildungsrauschen

  • Lena Tietgen
  • Lesedauer: 2 Min.

Einer der Gründe, dass vornehmlich geistes- und gesellschaftswissenschaftlich geschulte Akademiker über den gesellschaftlichen Wertewandel der Bildung klagen, ist deren tiefe Verunsicherung. So kritisiert der Rechts- und Sozialphilosoph Dietmar von der Pfordten auf zeit.de den Verlust des Humboldtschen Bildungsideals, der Kern jeglichen Aufklärungsgedankens und damit Basis des Bildungsbürgertums war, nämlich durch Erkenntnis aus der »selbstverschuldeten Unmündigkeit« (Kant) zu gelangen. »Das Bildungsbürgertum als wertprägende Schicht des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts ist durch die nationalsozialistischen und kommunistischen Diktaturen, die Weltkriege und die materialistische Orientierung der modernen Industriegesellschaft und nicht zuletzt durch den teilweisen Verrat an den eigenen Überzeugungen bis auf geringe Reste dezimiert worden. Die neue Sehnsucht nach Bürgerlichkeit richtet sich mehr auf äußere Güter und Verhaltensweisen, also schöne Gärten, handwerklich qualitätsvolle Haushaltsgegenstände, gute Manieren.«

Wo früher Wissen und Kulturtechniken den Eintritt in die gehobene Schicht begründeten, steht heute Selbstvermarktung samt deren Kultur- und Sozialtechniken auf dem Plan. Diese sind, weil sie dem Markt gehorchen, nicht mehr an allgemeine Bildung gebunden. Infolgedessen können Fußballstars zu den oberen Zehntausend gehören und qualifizierte Wissenschaftler am Existenzminimum leben. Eine gewisse Egalität ist eingetreten und mit ihr eine Bildung, die primär dem Markt zu dienen hat und Universitäten zu »Global Playern« degradiert.

Viele Akademiker arrangieren sich mit den Verhältnissen - oder entwerfen Visionen wie kla-schif, der Pfordtens Artikel so kommentiert: »Wir brauchen eine bessere Bildung und müssen Zulassungen und Studiengänge ganz abschaffen! Die Studierenden sollen sich ihre Vorlesungen selbst zusammenstellen können. Das Internet macht es möglich: Alle Vorlesungen kommen didaktisch aufwendig aufbereitet ins Netz. Dazu jeweils ein Forum, in dem zum Inhalt Fragen gestellt werden können und der Stoff mit anderen Studierenden, wissenschaftlichen Mitarbeitern und Professoren diskutiert wird. Dann kann sich jeder zu einer Prüfung anmelden. Wenn er sie besteht, bekommt er sie von der Universität bescheinigt. Um Prüfungs-Trolle zu vermeiden werden Prüfungsgutscheine ausgegeben. Wer mehr machen will, muss für die Prüfung halt zahlen. Promotionen kann man über Plattformen mit entsprechenden Anforderungen anbieten. Die Studierenden bewerben sich mit ihren erlangten Bescheinigungen und einem Motivationsschreiben. Die Professoren können auswählen und zu persönlichen Gesprächen einladen. Man muss im Blick halten, dass ein lebenslanges Lernen gefordert ist. Da sind Bildungsabschlüsse ein Anachronismus. Die Bildung ist nie abgeschlossen. Sie soll offen sein und immer weiter ausgebaut werden. Die heutigen starren Strukturen sind hinderlich und müssen daher weg.« Lena Tietgen

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