Tristesse und Hoffnung im Lakota-Land

Statt Wildwestromantik und Spiritualität: Viele indianische Ureinwohner der heutigen USA leben in isolierter Armut

  • Andreas Knudsen
  • Lesedauer: ca. 5.5 Min.

Eine Reise durch den USA-Bundesstaat South Dakota führt zu den Oglala, die nahe der Grenze zu Nebraska im Reservat Pine Ridge leben. Die soziale Lage etlicher Bewohner ist verheerend: Die meisten haben keine Arbeit, kein Geld und schlechte Schulbildung. Doch mancher gibt die Hoffnung nicht auf und kämpft für bessere Tage.

Soweit das Auge reicht, eine Landschaft, wie man sie aus ungezählten Western kennt - hügelig und durchsetzt mit Baumgruppen, wo es oft etwas Wasser gibt. Hier - in der Pine Ridge Reservation - leben die Oglala. Sie gehören zu den Lakota-Indianern, die wie die Dakota und die Nakota zur Großen Sioux-Nation zählen.
Offiziell 17 750 Angehörige zählt der Stamm der Oglala. Die Pine Ridge Reservation im USA-Bundesstaat South Dakota ist heute sein Kernland. Im Norden gehört ein Teil des Nationalparks »Bad Lands« zur Reservation.

Die Reservation ist »wie ein Gefängnis«
Schön ist es hier, doch die Oglala beschweren sich oft, dass die Reservation »wie ein Gefängnis« sei, und ihre Bewohner seien auf Dauer Kriegsgefangene der amerikanischen Geschichte. Die insgesamt 11 000 Quadratkilometer große Reservation ist in der Tat nur ein Bruchteil des Landes, das die Oglala einst bewohnten. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts umfasste das Gebiet der Lakota weite Gebiete der heutigen Bundesstaaten South Dakota, North Dakota, Nebraska, Wyoming und Montana. Damals bildeten die Black Hills, nicht weit von Pine Ridge, das Kerngebiet des »Lakota-Landes«. Durch einseitige Rechtsakte des USA-Senats und durch Gewalt wurde den Indianern ihr Land genommen.
Das Gefühl des Eingesperrtseins hat jedoch andere Ursachen. Es wird vor allem genährt durch die deprimierende Lebensrealität in der Reservation, die die romantische Landschaft kaum zu übertünchen vermag. Die Zukunftsaussichten der meisten Oglala sind düster: Vier von fünf Bewohnern von Pine Ridge haben keine Arbeit. Viehzucht ist in dem spärlich besiedelten Landstrich eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten. Weil jährlich weniger als 50 Millimeter Niederschlag fallen, braucht es dazu jedoch große Flächen. Zehn Acres - ein Acre entspricht etwa 4046 Quadratmetern - sind nötig, um ein einziges Rind über die heißen, trockenen Sommer zu bringen.
Die meisten Oglala aber besitzen nicht viel von dem Land, das einst ihres war. Nach dem einseitig von der Regierung beschlossenen »Dawes Act« von 1887 wurde das Stammesland in einzelne Parzellen aufgeteilt. Jedem indianischen Familienoberhaupt standen danach 160 Acres zu, Erwachsene über 18 Jahre hatten Anspruch auf die Hälfte und Minderjährige auf 40 Acres. Land, das nach dieser Formel nicht verteilbar - und damit in den Augen der Regierung »überschüssig« - war, wurde verkauft, verpachtet oder in den Besitz der Bundesstaaten übergeben. So gingen nicht nur den Oglala, sondern allen Indianerstämmen Millionen von Acres verloren.
Wenigstens ein Drittel der Fläche der Pine Ridge Reservation gehört deshalb offiziell weißen Farmern. Es sind ihre Herden, die hier grasen. Verpachtung wäre überdies kein lukratives Geschäft für die Oglala: Gerade einmal 50 Cent pro Acre können sie gesetzlich für unbewässertes Land verlangen.
Auch der nahe gelegene »Bad Lands«-Nationalpark ist für die Bewohner von Pine Ridge keine Einnahmequelle. Zwar bereisen jährlich Zehntausende von Touristen die Bad Lands, deren erodierte Hügel eine Augenweide sind. Besuch bekommen aber nur jene Teile des Parks, die außerhalb der Reservation liegen.
Wenige Oglala verfügen über finanzielle Reserven. Sich selbstständig zu machen und doch noch einen Weg aus der Tristesse zu finden, scheint für die meisten fast unmöglich. Zudem sind Banken und selbst Gebrauchtwarenhändler mehr als zurückhaltend, was die Kreditvergabe an sie angeht. Rund um die Häuser von Pine Ridge sieht man deshalb eine Flotte völlig veralteter Fahrzeuge und Autowracks, die als Ersatzteillager dienen, solange sie ein Teil haben, das irgendwie noch verwendbar ist.
Die Schulen der Reservation können den Oglala-Kindern keine Ausbildung vermitteln, die ihnen den Weg auf höhere Lehranstalten ebnet. Ohne Qualifikation aber können die Jungen später nur Aushilfsarbeiten leisten, so wie viele der »illegalen« Einwanderer aus ärmeren Ländern, mit denen sie um die Billigjobs konkurrieren.
Alternativen gibt es wenige. Etwa 120 Oglala, hat die Stammesverwaltung gezählt, haben sich für den Einsatz in Irak gemeldet. Die meisten aber bleiben aus Mangel an Perspektiven in der Reservation und beziehen Sozialhilfe - so wie die Generationen vor ihnen.

Doch nicht alle geben auf
Wen wundert's, dass viele Oglala versuchen, der tristen Realität zu entfliehen? Sie fahren in die Kleinstädte knapp hinter den Reservationsgrenzen, um ihre Zukunftsängste im Schnapsglas zu ertränken. White Clay etwa mit seinen offiziell 22 Einwohnern macht mit der Misere der Indianer einen jährlichen Alkoholumsatz von über vier Millionen Dollar.
Doch nicht alle geben auf. Es gibt einige Familien in Pine Ridge, die versuchen, ihre Lebensumstände zu verbessern. Die Großfamilie White Plume beispielsweise hat es vermocht, ihr Land trotz starken Drucks weißer Rancher zusammenzuhalten. Heute sind die White Plumes eine anerkannte Pferdezüchterfamilie, die Touristen Reitmöglichkeiten und Übernachtungen auf einem einfachen Campingplatz anbietet. Familienoberhaupt Alex wurde bei der jüngsten Wahl Mitglied des Stammesrates und nach einem Misstrauensvotum gegen die Vorsitzende in diesem Sommer sogar dessen Chef. Jobs zu schaffen und Eigeninitiative zu entwickeln, war sein Wahlprogramm. Ob es gelingt, muss man abwarten.

Henry Red Cloud plant für Generationen
Ein anderer äußerst unternehmerischer Oglala, Henry Red Cloud, kommentiert Fragen nach Erfolgsaussichten nur mit den Worten, dass »schon viele gute Leute in die Stammespolitik gegangen und gescheitert sind«. Er selbst hält sich, obwohl in fünfter Generation Nachfahre des aus der Geschichte bekannten Häuptlings Red Cloud, aus der harten Politik heraus.
Stattdessen arbeitet er an konkreten Projekten. Ein Garten und ein Gewächshaus, eine Bisonherde von rund 30 Stück und das Unternehmen »Oglala Solar Enterprises« gehören derzeit dazu. Vorläufig kommen die Erträge, die er damit erwirtschaftet, nur seiner eigenen Familie zugute, doch mittel- und langfristig will er erreichen, dass sich nicht nur seine, sondern die Situation aller Bewohner der Reservation verbessert. Denn zum Denken der Oglala gehört, die jeweils folgenden sieben Generationen in die Zukunftsplanung einzubeziehen.
Sobald etwa die Bisonherde groß genug ist, sollen die Tiere an andere interessierte Familien weitergegeben werden. Weil die Herden einst Lebensgrundlage, aber auch soziales und religiöses Zentrum aller Präriebewohner bildeten, hat ihre Rückkehr in die Hand der Indianer eine wichtige Signalwirkung: Ein Neuanfang ist möglich. Wohlschmeckendes, gesundes Fleisch liefern die Tiere zudem. Den Herdenstamm konnte der umtriebige Red Cloud-Nachfahre nur mit Spenden vor allem aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kaufen. Denn kreditwürdig - im Sinne der Bank - ist auch er nicht.
Weil es außerhalb der Ortschaften in der Reservation kein Stromnetz gibt, müssen Generatoren die Energie für Klima- und Heizungsanlagen liefern. Die immensen Stromrechnungen fressen bis zu 70 Prozent des monatlichen Einkommens der Oglala auf. Deshalb kam Henry Red Cloud auf die Idee, Strom unabhängig zu produzieren. Er konnte die US-amerikanische Umweltgruppe »Trees and Water People« dazu bewegen, unentgeltlich Solarzellen zur Verfügung zu stellen. Etwa 100 davon wurden bisher in Pine Ridge installiert.
Auch die Idee für das Gewächshaus entsprang einem Problem, das viele Oglala betrifft. Wegen schlechter Ernährung - eine Folge der Armut - leiden etwa 40 Prozent der Bewohner von Pine Ridge an Diabetes. Durch den Verzehr frischer Produkte könnten sich zumindest zukünftige Generationen gegen die Krankheit schützen.
Henry Red Clouds Erklärung für seine Aktivitäten ist simpel: Er will zeigen, dass ein Oglala etwas erreichen kann, den anderen ein Beispiel geben. Bald wird er selbst Großvater, und seinen Enkeln will er ein Erbe hinterlassen, das sich...

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