Das Boot ist noch lange nicht voll
Das Bundesland müsste 24 650 Asylbewerber leicht aufnehmen können
Es ist heikel, das Land und die Kommunen dafür zu rügen, wie sie die Aufnahme der Flüchtlinge organisieren. Unbedingt muss der Eindruck vermieden werden, Defizite seien verantwortlich für Verbrechen wie den Brandanschlag in der Nacht zum Dienstag in Nauen. Es darf keine Entschuldigung für die Täter geben. In Nauen hatten Unbekannte eine Sporthalle angezündet, in der demnächst etwa 100 Menschen untergebracht werden sollten.
Der Verdacht auf Brandstiftung hat sich am Mittwoch bestätigt. »Die Polizei konnte vor Ort Spuren von Brandbeschleunigern feststellen. Auch der Einsatz eines Brandmittelspürhundes bestätigte diesen Befund«, erklärte Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD). »Es handelt sich um einen gezielten Anschlag.«
An Stammtischen und über Gartenzäune hinweg wird jetzt gefaselt: »Ich kann die Leute ja verstehen, weil...« Dann lallen Saufbrüder, es seien einfach zu viele Ausländer hier, und Rentner behaupten: »Die nehmen uns die Arbeit weg.«
Der FDP-Landesvorsitzende Axel Graf Bülow warf der rot-roten Regierung vor, ihre Planlosigkeit könne »der Nährboden für Ausschreitungen wie zuletzt in Nauen und zuvor in Heidenau in Sachsen sein«.
Grünen-Landeschef Clemens Rostock bemerkte: »Alle, die in Deutschland mit dazu beitragen, ein Klima zu schaffen, in dem sich solche Täter bestätigt sehen können, sollten sich fragen, wie lange sie noch verbal zündeln wollen.« Aus der Vergangenheit wisse man, »wie schnell der nächste Schritt folgt, bei dem Leib und Leben der Flüchtlinge in Gefahr sind.«
Die Opferperspektive wies auf einen gefährlichen Zusammenhang hin. Geschäftsführerin Judith Porath erklärte die gestiegene Zahl rassistischer Attacken damit, dass in Politik und Medien über eine Flüchtlingsflut fabuliert werde. Das erinnere an das fatale Gerede vom angeblich vollen Boot in den 1990er Jahren. Martin Osinski vom Bündnis »Neuruppin bleibt bunt« stimmte dieser Analyse zu.
Viel spreche dafür, dass in Nauen »die Saat aufgegangen ist, die über Wochen und Monate mit rechtsradikaler Stimmungsmache« gelegt wurde, meinte Kathleen Kunath. Die Sprecherin der Initiative »Willkommen in Falkensee« forderte, dass Politiker »besorgten Bürgern« die Zuversicht vermitteln, dass Deutschland durchaus in der Lage sei, all die Menschen aufzunehmen, die hier momentan Zuflucht suchen.
Ein falsches Signal war die Errichtung von Zeltlagern in Eisenhüttenstadt und anderswo. Das vermittelte den Anschein, Brandenburg sei möglicherweise nicht mehr in der Lage, alle Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen, es seien einfach zu viele. Gleichwohl sprach die Staatskanzlei am Dienstag von »dramatisch ansteigenden Zahlen«. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hatte mit Innenminister Schröter und Bildungsminister Günter Baaske (beide SPD) sowie Sozialministerin Diana Golze und Finanzminister Christian Görke (beide LINKE) bei einem zweistündigen Asylgipfel beraten. Der Ministerpräsident sagte hinterher: »Wir haben klargestellt, dass Brandenburg alles tun wird, um sich seiner Verantwortung gegenüber den vielen Menschen in Not, die zu uns kommen, zu stellen. Auch die Kommunen und die vielen Freiwilligen leisten Großartiges. Ich danke allen Verantwortlichen, die bis an die Grenze der Erschöpfung arbeiten, um diese große Herausforderung zu stemmen.« Woidke appellierte an den Bund, sich schnell stärker an der Finanzierung zu beteiligen. »Die humanitäre Krise darf nicht zu einer humanitären Katastrophe werden.«
Zwar überraschte die jüngste Schätzung, Brandenburg müsse in diesem Jahr 24 650 Flüchtlinge aufnehmen. Zuvor war von 14 000 die Rede und 2014 hatte Brandenburg nur 6300 Flüchtlinge unterzubringen.
Aber ist es wirklich so schwierig, 24 650 Menschen einzugliedern in einem Bundesland, das 29 477 Quadratkilometer groß ist und heute knapp 2,5 Millionen Einwohner zählt, während es 1990 noch 2,6 Millionen gewesen sind? Ist das problematisch in einem Land, in dem allein bei den Wohnungsgenossenschafen und den kommunalen Wohnungsgesellschaften 25 700 Wohnungen leer stehen, die privaten Vermieter also nicht mitgerechnet? »nd« berichtete im März über einen hilfsbereiten Kfz-Mechaniker, der eine Wohnung auf seinem alten Bauernhof in Walchow als Flüchtlingsquartier angeboten hatte, was wegen des Bauzustands abgelehnt wurde. Zwar war die Wohnung tatsächlich sanierungsbedürftig. Besser als ein Zelt oder eine Turnhalle wäre sie aber allemal gewesen.
Fakt ist: Alle in Brandenburg ankommenden Asylbewerber müssen erst einmal einige Wochen in die überfüllte zentrale Erstaufnahme in Eisenhüttenstadt oder in eine der Außenstellen. Sie müssen dort eine Prozedur über sich ergehen lassen, zu der eine medizinische Untersuchung gehört. Der Bund könnte aber für Abhilfe sorgen. FDP-Landeschef Graf Bülow schlägt eine Stichtagsregelung für Asylbewerber aus Syrien, Eritrea und dem Irak vor. »Deren Anträge werden zu 99,5 Prozent anerkannt, hier kann die bürokratische Einzelfallprüfung entfallen«, denkt er.
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