Es begann in der Boccaccio-Stadt Certaldo

In einem Bauwagen touren zur Zeit Zeichnungen von Werner Klemke durch Pankow

  • Klaus Haupt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Brotfabrik am Caligariplatz in Berlin, die nach dem Motto arbeitet »Kunst ist Lebensmittel«, hat in diesen Tagen im Großbezirk Pankow wieder ihren KulturWagen auf Reisen. Darin sind kleine Ausstellungen zu sehen. Diesmal wird Werner Klemke (1917-1994) vorgestellt, der in Weißensee geboren und aufgewachsen ist und dort bis zu seinem Tode gewohnt hat. Die Ausstellung in dem aufgemöbelten Bauwagen gibt einen kleinen Einblick in das vielfältige Werk des Zeichners. Den Umständen entsprechend kann es sich dabei natürlich nur um eine bescheidene Schau handeln. Gewissermaßen um eine Mini-Ausgabe von »Werner Klemkes gesammelte Werke«, die Horst Kunze im VEB Verlag der Kunst Dresden im Jahre 1969 und später in erweiterter Fassung erneut herausgegeben hat.

Wer kennt ihn nicht, den berühmten Kater auf dem Titelblatt vom »Magazin«. Über Jahrzehnte hat er die Leser in der DDR erfreut. Wie viele Kinder sind groß geworden mit »Hirsch Heinrich«, oder »Das Wolkenschaf« oder »Unsere Fibel« und zahlreichen anderen Büchern. Überreichlich sind die Ausgaben der Weltliteratur, die er mit seinen zauberhaften Illustrationen gestaltet hat: »Ein kurzweiliges Lesen von Till Eugenspiegel«, Voltaires »Candide«, Johannes Fischarts »Gargantua«, ein besonderer Schatz »Das Dekameron des Giovanni Boccaccio«... Die »Gesammelten Werke« haben 319 Seiten, um ein Mehrfaches beträgt die Zahl der Abbildungen, die in dem Buch enthalten sind.

Ich habe den KulturWagen mitten im Prenzlauer Berg angetroffen, auf dem Käthe-Kollwitz-Platz. Manche Besucher haben in der Ausstellung einen von Millionen DDR-Bürgern geschätzten Künstler kennen gelernt. Mich hat sie an Klemke-Werke erinnert, die kaum bekannt sind.

Die Geschichte begann vor rund vierzig Jahren, im Spätsommer 1975. Die »Unita«, Tageszeitung der Kommunistischen Partei Italiens, veranstaltete das traditionelle Pressefest in jenem Jahr in Florenz. Es war dies die Zeit, in der die Kommunisten bei den Wahlen für das Parlament in Rom fast ein Drittel der Stimmen erhielten. Bei Kommunalwahlen war der Anteil in manchen Regionen noch größer.

Zu den Gepflogenheiten des Festes gehörte, dass - als ein Ausdruck der Solidarität - viele Bruderzeitungen aus aller Welt mit Informationsmaterial, landesüblichen Souvenirs und auch Gaumenspezialitäten vertreten waren. Die Zeitung eines sozialistischen Landes wurde zum Ehrengast erkoren. Das bedeutete: Die Beteiligung dieser Zeitung war außergewöhnlich vielseitig und umfangreich. Ehrengast in Florenz war »Neues Deutschland«.

Um der Kulturstadt Florenz eine besondere Referenz zu erweisen, entstand in der Redaktion die Idee, ein Halstuch für die Frauen herzustellen - und da beginnt die Geschichte mit Werner Klemke. Was lag näher, für dieses Tuch Illustrationen von seiner Hand zum »Dekameron« des Boccaccio zu nehmen, der in Florenz gewirkt und unweit in dem kleinen Städtchen Certaldo gestorben ist. So entstand schließlich das Tuch: Klemke-Illustrationen aus dem »Dekameron« im Schachbrettmuster angeordnet, 64 Felder, abwechseInd in den Farben rot und blau. »Un fular per le belle donne di Firence.« - Ein Tuch für die schönen Frauen von Florenz. Am Pressefeststand wurde es zum Freundschaftspreis verkauft. Die Einnahmen flossen - wie alle Einnahmen - in die Solidaritätskasse der »Unita«.

Auch Werner Klemke weilte zu dieser Zeit mit seiner Frau in Certaldo. Sie waren Gäste der mittelalterlichen Stadt. Die Ratsherren hatten Werner Klemke die Ehrenbürgerwürde angetragen, für seine ganz im Geiste des »Dekameron« geschaffenen Illustrationen. Von Anwärtern aus verschiedenen Ländern hatten sie ihn ausgewählt. Der DDR-Botschafter in Italien, Klaus Gysi, als zeitweliger Chef des Aufbau-Verlages ein ausgewiesener Mann des Buches, wollte Certaldo und Klemke die Ehre geben und am Festakt teilnehmen.

In dem kleinen Rathaussaal, der gleichermaßen wie das historische Stadtzentrum wirkte, als hätte sich nichts geändert seit Boccaccio vor der Pest aus Florenz hierher geflohen war, hatten sich die Honoratioren von Certaldo versammelt.

Fortan lieferte Werner Klemke Jahr für Jahr zum traditionellen Pressefest in Berlin eine Arbeit, farbig und heiter, als Vorlage für ein ND-Tuch, das auch - zugunsten der jeweiligen Solidaritätsfonds - auf Pressefesten von Bruderzeitungen in Westeuropa verkauft worden ist. Der Meister hat für seine Arbeit niemals auch nur einen Pfennig Honorar verlangt.

Pankow, Breite Straße/Ossietzkystraße, täglich

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