Kleinkrieg gegen Mieter

Letzte Bewohner der Kopenhagener 46 bleiben ungebrochen

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Ende der Verhandlung stand ein Vergleich vor dem Amtsgericht Mitte. Doch der Fall ist noch lange nicht ausgestanden.

Eine sichtlich genervte Richterin und zwei streitende Parteien, die sich schon des Öfteren im Gerichtssaal begegneten. David gegen Goliath oder ein kleines gallisches Dorf gegen die allmächtigen Römer - so könnte man das Geschehen beschreiben. Sven Fischer und seine Partnerin wohnen seit Jahren in dem Altbauhaus Kopenhagener Straße 46 in Prenzlauer Berg, das 2012 von der Firma Christmann Holding mit dem Ziel aufgekauft wurde, das Haus »umfassend energetisch« zu sanieren und die Wohnungen dann mit Gewinn zu verkaufen. Eine Goldader, ein profitables Geschäft für die Sanierer - wenn alle brav mitspielen. Doch Fischer spielte nicht mit, und von da an war Krieg in dem Haus.

Während andere Mieter nach und nach das Handtuch warfen oder ihnen unter fadenscheinigen Gründen fristlos gekündigt wurde, blieb Fischer streitbar und standhaft. Es gingen nicht nur die Mieter, es zerbrachen soziale Strukturen, ein Stück Kiezkultur ging verloren. Der Hof als einstiger Treffpunkt wurde zu einem Trümmerfeld. Das Leben der vierköpfigen Familie änderte sich grundlegend. Das Haus wurde mit Plastefolie zugehangen, die Luft wurde dünn im Haus. Die Kinder erkrankten. Vor Gericht scheitert Fischer mit dem Versuch, die Plane wieder loszuwerden. Immer weniger Anlagen funktionierten. Von oben wurde die Badezimmerdecke aufgebrochen - das Bad ein einziger Schutthaufen. Die Firma entschuldigte sich für das »Versehen«, doch das Badezimmer war faktisch unbenutzbar. Die Wohnung wurde durch eine Gasetagenheizung betrieben, plötzlich war der Schornstein weg, der Zug mit Resten verstopft. Eine lebensgefährliche Angelegenheit. Baubehörden mussten eingeschaltet werden, der Fall schlug immer höhere Wellen. Ohne Wasser, ohne Strom, ohne Gas - der Familienalltag wurde auf eine harte Probe gestellt. Doch aufgeben wollen die letzten Mieter nicht, für sie ist menschenwürdiges Wohnen ein Grundrecht in einer zivilisierten Gesellschaft. Auch Kündigungen haben sie schon mehrfach erhalten, sie hatten keinen gerichtlichen Bestand.

Nun hat man sich vor dem Amtsgericht auf einen Vergleich bei den Sanierungsarbeiten in der Wohnung geeinigt. Bis Ende der ersten Dezemberwoche sollen der Neuanschluss an das Elektronetz, die Wiedereinrichtung von Dusche und Toilette bewältigt und die Wohnung wieder bewohnbar gemacht werden. Die Sanierer verpflichteten sich, alles wieder herzustellen. Genau wird festgeschrieben, wie hoch und breit der Rohrschacht sein darf. Im Gegenzug lässt Fischer die Bauarbeiter in der Wohnung an Werktagen zwischen 8 und 18 Uhr werkeln. Heizung und neue Fenster sind bereits eingebaut. Die Richterin legt Wert auf genaue Auflistung der Arbeiten, Zeiten und Kosten, damit nicht die nächste Klagewelle eingeleitet wird, sie will »das Ding endlich vom Tisch«.

Keine Einigkeit besteht über die Höhe der zukünftigen Miete. Für die 150 Quadratmeter wurden bisher 657 Euro hingeblättert. Nach der Luxussanierung könnten es um die 3000 Euro sein. Also wird man sich wohl wieder vor Gericht treffen müssen. Die Miethöhe wird künftig die soziale Zusammensetzung im Kiez bestimmen, bei solchen Beträgen können Alteingesessene kaum mithalten.

Am 29. Juni meldete die Immobilienfirma stolz auf ihrer Homepage: »Nur vier Monate nach dem Verkaufsstart wechselt die letzte freie Wohnung in der Kopenhagener 46 ihren Besitzer. Wir beglückwünschen alle Käufer der dort entstandenen Altbauklassiker und Dachgeschosswohnungen.« Über die letzten Mieter schweigt Christmann.

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