»Kalter Krieg auf Schienen«

Ausstellung erinnert an Zeiten, als die S-Bahn mit DDR-Flagge durch Westberlin fuhr

  • Daniel Kläger
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.
»Der Nord-Süd-Tunnel führte durch ein Stück Ostberlin. Dort verlangsamte die Bahn ihr Tempo. Im abgedunkelten Licht konnte man die Grenzer stehen sehen.« Die Stationen vom Potsdamer Platz bis Nordbahnhof wurden nach dem Mauerbau Geisterbahnhöfe und »so dicht, dass gerade noch die Luft zum Atmen blieb«, erinnert sich Charlotte Schwalm-Dittfurth. Gemeinsam mit ihrem Mann Udo Dittfurth eröffnete die Architektin gestern die Ausstellung »Kalter Krieg auf Schienen - Die S-Bahn der Deutschen Reichsbahn in Berlin (West) 1961-1989« im S-Bahnhof Jannowitzbrücke. Sie wollen mit der Ausstellung zeigen, wie die S-Bahn als politisches Instrument missbraucht wurde. »Vom Osten, um Einfluss auf das Leben der westlichen Halbstadt zu nehmen, vom Westen als Ventil, um gegen den Mauerbau zu demonstrieren«. Für die schnelle Inbetriebnahme der S-Bahn nach Kriegsende hatte die sowjetische Besatzungsmacht gesorgt. Auch nach Mauerbau beanspruchte die DDR weiter die Hoheitsrechte über das Westberliner Streckennetz der Deutschen Reichsbahn (DR) . Fortan war die S-Bahn »gleichzeitig Zankapfel und Bindeglied« der Widersacher, so Dittfurth. »An der S-Bahn haben sich beide Seiten über Jahre politisch abgearbeitet«. Die DDR nutzte die S-Bahn, um in Westberlin Flagge zu zeigen. Und zwar im wortwörtlichen Sinne: An Feiertagen hat die DR ihre Züge mit DDR-Flaggen bestückt, die so auch durch Westberlin fuhren. Ganz zum Ärger des Westens, wo die S-Bahn nach Mauerbau massiv Anfeindungen und Boykott ausgesetzt war: »Damals hieß es, wer S-Bahn fährt, bezahlt dadurch den Stacheldraht,« erinnert sich Dittfurt. 1962 einigten sich Ost- und Westberlin auf eine Bahnpolizei unter Leitung der DR, die in Zusammenarbeit mit den jeweils zuständigen Polizeibehörden gegen Vandalismus und Diebstahl auf Bahngelände vorgehen sollte. Allerdings erkannten die Ost- und Westbehörden sich gegenseitig nicht an: »Verhaftungen und Anklagen von Bahnpolizisten wegen Amtsanmaßung hier, Klagen über die Untätigkeit der Westpolizei dort. Misstrauen und Abgrenzung verhinderten die Kooperation«, steht im Ausstellungstext. Der Abschnitt »Bauen mit Hindernissen« beschreibt das »uneffektive Nebeneinanderherplanen« von Ost und West. Die DR habe 1968 mit der Renovierung des Empfangsgebäudes des S-Bahnhofs Hermannstraße begonnen. Kurz darauf sei jedoch der Senat mit einem Bauvorhaben an die DR herangetreten, für das man das Empfangsgebäude abreißen musste. Aber immerhin: »Der Senat ließ später ein neues errichten.« Derweil wurde der Bahnhof Friedrichstraße unter drastischen Sicherheitsvorkehrungen zum »Umsteigebahnhof zwischen den Systemen« ausgebaut. Zwar bezeichnete die Staatssicherheit den Westteil des Bahnhofs als »Tummelplatz für asoziale Kriminelle und feindlich tätige Westberliner«, unterstrich aber gleichzeitig, wie wertvoll die Station »für die politisch-operative Arbeit« sei, wo »Kontakte zwischen Agenten unauffällig herzustellen waren«. Bei all den Querelen »blieb das Verkehrsmittel S-Bahn auf der Strecke«, meinen die S-Bahnexperten. Sie hoffen, mit ihrer unbezahlten Arbeit eine Diskussion in Gang setzen zu können - und dabei speziell diejenigen anzuspre...

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