Börne probt für den Urlaub

Im Tatort aus Münster ist das Standardpersonal etwas auf Krawall gebürstet: Matthias Dell über den Sonntagabendkrimi »Schwanensee«

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

Wiederkehrende Figuren können keinen Urlaub machen, weil sie sonst nicht wiederkehren würden. Dabei gehört es naturgemäß zu den Ungereimtheiten, auf die Realismusfundamentalisten die Lehre ihres Mit-dem-echten-Leben-abgleichen stützen könnten, dass ARD-Sonntagabendkrimi-Kommissarinnen immer arbeiten müssen. Für die Privatisierung einer Figur wäre eine so gewöhnliche Handlung wie Ferien eine schöne Abwechslung, tatsächlich kann das In-den-Urlaub-fahren aber immer nur Absicht bleiben oder muss verhindert werden.

An dieser Stelle ist erzählerisches Geschick gefragt, mit dem sich der Tatort aus München kürzlich beim Oktoberfest-Fall hervortat. Dort war es dem Franz (Udo Wachtveitl) als Airbnb-Untervermieter gelungen, die von Sauftouristen bevölkerte Stadt tatsächlich zu verlassen - sein Rückruf an den Dienstort wurde durch den Tod der schwedischen Untermieterin erzwungen, zu dem er als Zeuge einbestellt wurde.

In Münster hätte Kommissar Thiel (Axel Prahl) in Folge 11 der dortigen Tatort-Geschichte (»Ruhe sanft«, 2007) urlaubsbedingt fehlen sollen. Das ständig scheiternde Abfliegen, das sich bis zur Lösung des Falls zog, verdankte sich einem Nicht-Können (und keinem Nicht-Wollen): Thiel hatte - natürlich wegen Unzulänglichkeiten des Taxei fahrenden »Vaddern« (Claus D. Clausnitzer) - sein Flugzeug verpasst, was für die Folge einen Running Gag stiftete, da jede Figur die schlechte Laune des Kommissars mit der arglosen Fragen »Ich dachte, Sie sind im Urlaub?« noch steigern konnte.

In »Schwanensee« (WDR-Redaktion: Nina Klamroth) vermittelt nun Professor Boerne (Jan Josef Liefers) den Eindruck, verreisen zu wollen. Der Gerichtsmediziner steht in voller Tauchmontur in den eigenen vier Wänden herum, was sich zweifellos in die Putzigkeitsinszenierungen fügt, aus denen die Tatort-Folgen aus Münster ihre Komik beziehen. Der Wille zur Abreise wird unter anderem bekräftigt durch einen eher minderdynamisch (entschiedenere Musik hätte vielleicht geholfen, die stammt bei der Folge vom Kölner Duo Dohmen und Dürbeck) gefilmten Stunt, bei dem sich Boerne Untersuchungsergebnisse im Vorbeifahren aus dem Taxi greift (Regie: André Erkau).

Gerade weil dramaturgisch einiges in den Urlaubsplan investiert wird (Drehbuch: Thorsten Wettcke, Christoph Silber, Erkau), enttäuscht dessen Absage. Die tarnt sich als überflüssige Undercover-Reportage in der Klinik, in der der Initialmord an einer BKA-Fahnderin geschehen ist. Wenn Boerne nicht von der Arbeit lassen kann, mag das zur Figur passen, aber wieso probt er dann für den Urlaub? Dass seine Mitarbeiterin Frau Haller (ChrisTine Urspruch) die Arbeit genauso gut kann, gehört zum Antagonismus beider Figuren; dass alle anderen den eitlen Selbstdarsteller nicht vermissen würden, ist Charakteristikum von Münster (in München wäre es immerhin im Bereich des Möglichen, dass der Ivo den Franz aus emotionalen oder sozialen Gründen dabei haben wollte).

Die Schlichtheit, mit der ein erzählerisches Hindernis genommen wird, das sich »Schwanensee« selbst aufgestellt hat, beschreibt die Folge recht gut. Es ist nämlich so, dass dieser »Tatort« kein einnehmendes Szenario findet. Das Standardpersonal ist etwas auf Krawall gebürstet: Thiel (Axel Prahl) schnauzt am Anfang rum, Boerne fordert zur Geschwindigkeitsentgrenzung auf. Die heiße Story vom Steuerbetrug wird stiefmütterlich behandelt. Und die Pathologien der Klinikbewohner sind so illustrativ und oberflächlich, dass es für eine schick gefilmte Vorstellungsrunde und spaßige Gruppenbilder am Ende reicht; erzählerisch wird damit wenig angefangen.

Die Gruppenbilder kann man dann auch als Eingeständnis der Leere verstehen, die der Fall »Schwanensee« hinterlässt: Figuckchen vor der Kamera machen Amateurfilme, denen sonst nichts einfällt. Im Grunde geschieht hier alles so zusammengeklebt und herbeibehauptet wie in den Soaps üblich, aus denen die Täterin (Nadja Zwanziger) ihren Realitätsbegriff ableitet.

Irgendwie läuft die Geschichte nicht rund, stellt Kommissar Thiel nach einer guten, mitunter zähen Stunde fest. Er beschreibt damit nicht nur den verworrenen Fall, sondern auch diesen »Tatort«.

Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Sie sind der mit der Riesensteuerhinterziehung.«

Eine Antwort, mit der man nichts falsch machen kann:
»In solchen Kategorien würde ich niemals denken.«

Etwas für den Grabstein:
»Er sprach oft in Fischmetapern.«

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