Revolution beim Recycling

Bei der Gebäudeplanung soll an die Rohstoffwiederverwertung gedacht werden

  • Marcus Meier, Dortmund
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Verein »Urban Mining« will neue Rohstoffquellen erschließen - direkt vor unserer Haustür. Produkte und Gebäude sollen bereits wiederverwertungsfreundlich geplant und gebaut werden.

Rohstoffe werden knapp oder knapp gehalten - so wie die für so ziemlich alle elektronischen Geräte wichtigen Seltenen Erden, auf die Hauptexporteur China jahrelang den Daumen hielt. Das als rohstoffarm geltende Deutschland muss die meisten Metalle und Minerale importieren - das schafft neben ethischen auch ökonomische Probleme. Letztere lassen sich nicht so leicht ignorieren.

»Es ist fünf nach zwölf, so wie bisher geht es nicht weiter«, sagt Ernst Baumann, Vorstand des Vereins »Urban Mining«. Der Zusammenschluss von Naturwissenschaftlern, Ingenieuren und Ökonomen sucht neue Wege, um den deutschen Rohstoffbedarf abzudecken. Urban Mining heißt, dass die Stadt zur Mine wird. Rohstoffe finden sich in Kellern (als Sperrmüll), auf Mülldeponien und Industriehalden, in Firmenruinen, auf den Abraumbergen, die beim Tunnelbau entstehen, in Abwässern, vor allem aber in Abrissgebäuden.

Denn Gebäude verschlingen 60 Prozent unserer Rohstoffe. Bisher können diese aber kaum wiederverwertet werden, da sie nicht entsprechend verbaut werden. Urban-Mining-Vordenker wie die Münsteraner Ingenieurin Sabine Flamme fordern deshalb ein »gezieltes Ressourcen- und Stoffstrommanagement« für die Bauwirtschaft.

Bei der Planung von Gebäuden müsste der Rückbau bereits bedacht und auch finanziell geplant werden. Künftige Häuser sollten demontagefreundlich, die verwendeten Materialien möglichst sortenrein und recyclingfähig sein. Auch müsse erst einmal Transparenz geschaffen werden über die verbauten Ressourcen: durch einen Gebäudepass und gezielte Rückbauplanung. Gedanken machen müsse man sich auch über das Recycling von Dämmmaterialien. Ein Hauptproblem für Flamme und ihre Arbeitsgruppe Ressourcen an der Universität Münster: die »Vielzahl an synthetisch hergestellten Bauteil- und Materialverbindungen, die nur schwer oder unlösbar miteinander verbunden sind«.

Was das Recycling von Rohstoffen betrifft, seien die Deutschen nicht weltmeisterlich. Nur ein knappes Sechstel aller entsorgten Rohstoffe vom Bauschutt bis zum ausrangierten Elektroofen würden tatsächlich wiederverwertet. Für Hersteller bestehe kein Anreiz, Produkte rohstoffrückgewinnungsfreundlich zu gestalten. Noch sei es billiger, Ressourcen beispielsweise aus dem Bürgerkriegsland Kongo zu beziehen. Auch gebe es weder Qualitätskriterien für die Wiederverwertung, der Materialmix beispielsweise von Handys sei zu heterogen und das Produktdesign unklug. Ein modularer Aufbau von Elektroprodukten könnte aus Flammes Sicht helfen. Heißt: Ist der Computer zu alt, dann tauscht man die CPU, also das Hirn, aus, nutzt aber Gehäuse, DVD-Player und Soundkarte weiter.

Es existieren erste Projekte, die Bauabfälle besser verwerten wollen, so die Bauteilbörse Berlin-Brandenburg, das Bauteilnetz Deutschland oder der Gebrauchtbaumarkt in Saarbrücken (»Wiederverwenden spart Geld und schont die Umwelt«). Geht es nach den Urban-Mining-Freunden, soll auch der klassische Wertstoffhof revolutioniert werden. Unter anderem in Hamburg betreibt die Firma Modulo Nederland Recyclingzentren, die dank Modulen, die mit Ökogranulat aus Altasphalt hergestellt sind, schnell auf- und notfalls umgestellt werden können.

Sie wirken einladend. Denn die Sekundärrohstoffe werden unterirdisch gelagert, was nebenbei Fläche spart. Hier werden auch Fahrräder und Möbel wieder instand gesetzt und preisgünstig verkauft, berichtete Geschäftsführer Ron van Ommeren unlängst auf einem Urban-Mining-Kongress in Dortmund. Aus Altreifen entstehen Taschen, ein Repair Café lädt zum Verweilen ein. Hier werden kaputte Geräte kostenarm wieder instand gesetzt. Im Projekt bekommen Menschen mit Behinderung sinnvolle Jobs.

Doch die Urban-Mining-Freunde wollen nicht erst am Ende des Produktlebenszyklus ansetzen. Produkte und Gebäude sollten bereits anders geplant und designt werden, damit die verbauten Rohstoffe dereinst leicht wiedergewonnen und wiederverwertet werden können. »Letztlich brauchen wir ein ganz anderes Wirtschaftssystem. Einige von uns fordern eine öko-soziale Marktwirtschaft, die den Kapitalismus ablösen soll«, sagt Vereinsvorsitzender Ernst Baumann, ein Betriebswirt und mittelständischer Unternehmer. Sein Verein sucht »mit einem interdisziplinären Ansatz nach ganzheitlichen Lösungen«, sagt er. Man sei schon oft fündig geworden. Es mangele nicht primär an Ideen - »wir haben vor allem ein Handlungsdefizit«.

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