Hochzieh’n, hochzieh’n

Künstler, Casanova und dann all die Militärs: Matthias Dell über den Tatort »Spielverderber« aus Hannover

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

»Liebe Fans von Egon Krenz, seid nicht traurig, jetzt kommt Aurich«, hieß ein DDR-Klassiker der Enttäuschungsprävention, der, vermutlich, aus Anlass des Trägerwechsels im Obersten Blauhemd der Republik entstanden ist – 1983, als Eberhard Aurich Egon Krenz im Amt des Ersten Sekretärs des Zentralrats der FDJ nachfolgte. In diesem Sinne ließe sich zum »Tatort« dieses Wochenendes zwar nicht dichten (dafür taugen die Namen nicht), aber doch vorbeugen: Wer traurig ist, dass Til Schweigers geplante Doppelfolge aus Pietät (Terror kommt vor) erst im Januar gesendet wird (was Schweiger bekanntlich so nicht entschieden hätte), kann sich doch immerhin über Jasmin Gerat freuen – die Katharina aus den beliebten Schweiger-Filmen »Kokowääh« und »Kokowääh 2«.

Gerats Rollenname im »Tatort« ist, gemäß Presseheft, Kristin Goebels, wobei das »s« am Schluss im Film nicht gesprochen wird. Frau Goebels arbeitet auf einem niedersächsischen Fliegerhorst, an dem sich in – bezogen auf die Absage der Til-Schweiger-Festspiele doch ein hübsch ironischer Titel – »Spielverderber« (NDR-Redaktion: Christian Granderath, Meibrit Ahrens) die Verdächtigen ballen. Das ist doch mal ein originelles Milieu.

Das Opfer gibt die Ex-Frau (Nora Huetz) von Goebels Flieger-Kollege Jan Körner (Gerdy Zint) ab. Der macht sich verdächtig, weil sein Aggressionsmanagement so defizitär ist. Als unsteter Geselle erweist sich überdies Herr Goebels (Thure Lindhardt), ein Künstler und Casanova zwischen all den Militärs, und zur Spannungsverschärfung wird ein spielsüchtiger Ex-Lover von Frau Körner zwischenzeitlich ins Feld geschickt.

In jedem anderen Film der »Tatort«-Reihe würde zudem der Horstoberst (Richard van Weyden) als suspekt entworfen, weil er entweder selbst etwas mit der Frau gehabt hätte oder private Händel zwischen seinen Befehlsempfängern auf die unsanfte Tour klärte, um die Truppe beisammen zu halten.

In Hannover aber, wo die Arbeit der Kommissarin Charlotte Lindholm immer auch das gesellschaftlich-politische Image ihrer Verkörpererin Maria Furtwängler poliert, läuft die Sache anders. Da sieht der Oberhorst mit der wuchtigen Glatze und dem lässigen Dreitagebart so gut aus, dass eine Verwendung als Agent des Bösen zugunsten anderer Verpflichtungen zurückstehen muss.

Das tolle Mannsbild muss natürlich die Kommissarin anbraten, wie ein recht drastischer Austriazismus fürs Flirten heißt, damit die Erfolgsfrau im privaten Sektor nicht zu trostlos rüberkommt. Denn das Kind wird auch in dieser Folge zwischen zwei Dialogzeilen wegorganisiert – zur Lindholm-Mutter, die bekanntlich auch die Furtwängler-Mutter ist (Kathrin Ackermann).

Das Halbgare an dem Konzept der alleinerziehenden Vorzeige-Berufstätigen im Hannoveraner »Tatort« besteht ja immerfort darin, dass Malotte Furtholm permanent zu gut aussieht für die Krisen, die die Arbeit in der Fernsehserie für Alleinerziehende mit sich bringt. Aber vielleicht überrascht uns das Kind, das sich jetzt noch brav nichts anmerken lässt, später mit einer dicken Drogenkarriere oder dem Beitritt zu einer obskuren Sekte.

Im Karrierefrauenentwurf gönnt der Film (Drehbuch und Regie: Hartmut Schoen) Charia Lindwängler diesmal Tränen vor dem doofen Vorgesetzten, dessen Doofheit allerdings unentschieden erzählt ist (Beweise faken ist ja tatsächlich kein gutes Mittel bei der Ermittlung). Die Borniertheit des männlichen Obens (was doch mal ein Thema wäre) kann dann nur durch sexy Um-den-kleinen-Finger-wickeln-streicheln beim Oberflieger gekontert werden – was,

Im Karrierefrauenentwurf gönnt der Film Charia Lindwängler diesmal Tränen vor dem doofen Vorgesetzten - daraus wird, vermutlich unfreiwillig, ein Kommentar auf die Traurigkeit unserer gesellschaftlichen Hierarchien ist: So richtig ganz nach oben geht's für Frauen am Ende doch immer nur durchs Bett.

Überdies könnte »Spielverderber« in Erinnerung bleiben als Highlight unter den Kooperationen im politisch-televisionären Komplex: Nach dem legendären DFB-Tatort aus Ludwigshafen 2011 nun eine Sendung der Offenen Tür bei der Bundeswehr, die zu Hannover schon deshalb gut passt, weil sich Verteidigungsministerin und Hauptdarstellerin so gut verstehen. Wie das neueste Simulatorengerät für den Krieg dem Zuschauer durch die hotte Annäherung zwischen Kommissarin und Flugoberst erotisiert wird (»Hochzieh'n, hochzieh'n«), das ist eine Schau – anders als der unglaublich trashige und viel zu lange Schluss, dem die zwanghafte Aufladung von Gefühlen durch den Judy-Garland-Hit, den Bob Schneider singt (»Somewhere over the Rainbow«) zur Peinlichkeit entgleist.

Für höhere Aufgaben empfiehlt sich derweil der dynamische Fliegerhorstpressesprecher, den Daniel Zimmermann spielt.

Eine Aufforderung, die man von seiner Zahnärztin kennt:
»Würde's Ihnen was ausmachen, die Brille abzunehmen?«

Eine Beurteilung, die noch von Generalfeldmarschall Blücher übrig ist:
»Körner ist eigentlich ein guter Mann.«

Eine Aussagen, mit der man nichts falsch macht:
»Sind im Moment sehr viele krank.«

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