Im Ostwind des Baragan

Martin Leidenfrost über Deportation, Lehmhäuser - und ein seltsames Museum

  • Lesedauer: 4 Min.

Sie war mir immer unheimlich, diese baumlose Ebene im Osten der Walachei. Gerade gut genug, um durch das merkwürdig unbesiedelte Ackerland durchzurasen. »Herrenloses Land« nannte Panait Istrati 1928 den Baragan in seiner Erzählung »Die Disteln des Baragan«: »Auf seinem Rücken kein einziger Baum! Und von einem Brunnen zum anderen hast du alle Zeit, Durstes zu sterben. Auch vor Hunger schützt er dich nicht. Aber wenn du dich allein mit deinem Herrn finden willst, dann geh in den Baragan: Es ist die Gegend, die der Schöpfer bestimmt hat, damit der Rumäne in Freiheit träumen kann.«

Es passt in die von Wind und Dreck gepeitschte Atmosphäre, dass die stalinistische rumänische Regierung 1951 40 000 Menschen aus dem rumänischen Banat hierher deportieren ließ. »Volksfeinde«, »Kulaken«, der Nazi-Kollaboration verdächtigte Banater Deutsche, der Sympathie mit dem verteufelten Tito-Jugoslawien verdächtigte Banater Serben. Fünf Tage in Viehwaggons, dann wurden sie ausgesetzt zur Urbarmachung der trockenen Böden des Baragan. 1956 wurden die allermeisten Deportierten in den Banat zurückgeschickt, viele ihrer primitiven Lehmsiedlungen wurden eingeebnet, Spuren verwischt.

Ich fahre nach Temeschwar, ins »Museum des Banater Dorfes«. In dem Freilichtareal steht für jede Volksgruppe der einst multiethnischen Region ein ethnotypisches Haus; das Haus der Roma fehlt, sagt der Museumswärter, »weil Zigeuner das Baumaterial gestohlen haben«. Mit EU-Geld werden neue unterschiedslose Holzhäuser dazugebaut. Parallel wird ein Casting durchgeführt, aus jeder Banater Volksgruppe wird eine Familie gesucht. Diese Familien sollen einziehen und zu den Öffnungszeiten nichts anderes tun, als ihr Rumänentum, Serbentum, Slowakentum, Ukrainertum, Bulgarentum oder Deutschtum auszustellen. Ich will eigentlich nur den Nachbau eines der Lehmhäuser sehen, die sich die Deportierten im Baragan mit bloßen Händen aus dem Dreck der Steppe bauen mussten. Begreifen kann ich das nicht, aber der Deportiertenverein hat die Realität in so gut wie jeder Hinsicht geschönt: Der Nachbau steht auf einem Betonfundament, er ist gemauert und höher, als das Original je werden konnte.

Ich fahre in den Baragan. An einem See mit schwärzlichem Heilschlamm liegt das »Lebada«, 1500 Betten, einst das größte Hotel Rumäniens. Die Branntweiner im nächsten Ort stammen aus Siebenbürgen, im Baragan beklagen sie den fehlenden sozialen Zusammenhalt: »Wenn einer stirbt, ist er schon vergessen.« Die letzten verbliebenen Deportierten leben im Dorf Fundata. Die Häuser sind inzwischen professionell gebaut, nur im Garten eines verrückten einsamen Trinkers steht noch das Lehmhaus seiner Eltern. So hatte ich es mir vorgestellt - krumm, modrig und geduckt, aber es steht.

Ich finde die Deportierte Alexandrina Frunza, 79, frisch verwitwet, eine feingliedrige agile Bäuerin in Schwarz. Ihre vier Kinder leben in der Kreishauptstadt Slobozia, in Bukarest, Spanien und Israel; ausgerechnet den französischen Schwiegersohn zieht der Baragan aber an, er baut gleich nebenan ein Haus. Die ethnische Rumänin war 15, als sie mit ihren Eltern deportiert wurde. »Das war eigentlich ein Versehen, ein Buchstabe auf der Namensliste war falsch.« Ihr Mann hat zu Lebzeiten einem rumänischen Reporter erzählt, dass die Deportierten mit der Peitsche geschlugen wurden, das bestätigt mir die gelassene Großmutter nicht. »Die Aufseher gaben uns Holz für den Dachstuhl, unter diesen Hölzern schliefen wir ein halbes Jahr, bis Dezember. Wasser hatten wir nur aus Zisternen. Auch die Kinder mussten den ganzen Tag aufs Feld.« In den Siebzigerjahren zwang das Ceausescu-Regime die Bauern, Fundata zu räumen, 1990 zog Alexandrina aber freiwillig zurück. »Im Baragan habe ich Ruhe.« Sie strahlt diese Ruhe aus.

Am Gartentor weht eine rumänische Fahne, ich frage danach. »Die hat kurz vor seinem Tod mein Mann aufgehängt. Als er spürte, dass es zu Ende geht, spannte er sein Pferd in den Wagen, fuhr im Wagen durch das Dorf, grüßte alle. Das war keineswegs der Brauch, weder im Banat noch im Baragan. Kurz darauf war er tot.« Ich frage sie: »Istrati schrieb, dass der Wind im Baragan aus Russland kommt.« Sie antwortet: »Der Wind kommt vom Herrn.« Dann zögert sie. »Naja, doch aus Russland.« Und fügt mit ihrer Deportationsgeschichte hinzu: »In Sibirien wars schlimmer.«

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