Job-Hoffnung in den Farben blau und gelb
Das Greifswalder Schwedenkontor vermittelt erfolgreich arbeitslose Norddeutsche nach Skandinavien
Während Mecklenburg-Vorpommern und die anderen neuen Bundesländer von hoher Arbeitslosigkeit geplagt sind, gibt es in Skandinavien unzählige offene Stellen besonders in Handwerksberufen - Ausgangspunkt für ein innovatives Greifswalder Projekt.
Im kleinen Greifswalder Hafen liegen am Ufer des Ryck viele bunte Kähne und Segelboote, die auf ihre nächste Fahrt hinaus auf die offene See warten, vorbei am drei, vier Kilometer entfernten Wiecker »Utkiek«. Just diesen Ausguck hat Caspar David Friedrich, der sich für einen »halben Schweden« hielt, auf seinem Bild »Die Lebensstufen« von 1834 verewigt: Pommern dreier Generationen im Angesicht einer kleinen Armada von Segelschiffen vor blaugelbem Himmel.In Blau und Gelb, den Farben Schwedens, ist auch das Firmenschild des Schwedenkontors in der Hafenstraße 41 gehalten, das »Arbeitsvermittlung, Anpassungskurse, Beratung« verheißt und den Sitz diverser schwedischer Firmen anzeigt. Assoziationen zu alten Hansekontoren mit stolzen Giebeln allerdings kommen nicht auf, das Schwedenkontor ist in einem schlichten, in freundlichem Gelbbraun verputzten Gebäude zu Hause.
Sprung über die Ostsee als letzte Chance
An diesem Herbstmorgen genießen die Teilnehmer des jüngsten Kurses gerade ihre erste Pause. In der Tür blinzeln Hans-Hermann Jentzen und Kai-Uwe Schilling in die Sonne, rauchen eine Zigarette. Der 51-jährige Jentzen aus Stoltenhagen bei Grimmen hat fünfzehn Jahre als Schlosser in einem Agrarbetrieb gearbeitet. Doch dann kam für ihn das Aus, die Belegschaft wurde »verjüngt«, erzählt er mit einem sarkastischen Lächeln. Nach gut einjähriger Arbeitslosigkeit und etlichen Absagen sieht er im Sprung über die Ostsee die letzte Chance, eine feste Anstellung zu finden. Der selbstbewusste Kai-Uwe Schilling, Installateurmeister aus Zinnowitz, ist stolz darauf, dass er nur fünf Tage arbeitslos war. Den 36-Jährigen zieht es nach Norden, weil er meint, dass er hierzulande zu wenig Anerkennung für seine Arbeit findet. Seine Zukunft sieht er im norwegischen Stavanger, in der Nähe der Ölplattformen. Dort will er sein Glück machen.
Während die Männer ihre Geschichte erzählen, gesellt sich Marika Timm aus Zehnitz bei Anklam dazu. Die 26-jährige Landwirtin, alleinerziehend mit einem Kind, hat bisher nur ein Jahr in ihrem Beruf gearbeitet. Auch sie hofft im Ausland auf eine Chance. Vielleicht könne sie auch bei dem schwedischen Investor unterkommen, der nahe Wolgast einen größeren Landwirtschaftsbetrieb aufziehen will, überlegt sie laut. Umsonst wäre der Kurs dann ja auch nicht gewesen.
Die drei gehören zu den 25 Arbeitsuchenden, die Ende September einen viermonatigen Kurs am Ostseebildungszentrum begannen, das - im gleichen Haus angesiedelt - die Schwedenkontor GmbH mit der Ausbildung und Vermittlung der Teilnehmer beauftragt. Kontor-Geschäftsführer Dr. Rainer Schwenke war zur Wendezeit wissenschaftlicher Assistent an der Greifswalder Universität. Wie viele andere DDR-Kollegen fand der Nordeuropawissenschaftler keinen Platz in den neuen Universitäts-strukturen, lamentierte nicht lange und etablierte das Reisebüro »Skandinavien direkt«. Schon bei den ersten Reisen wurde deutlich, dass in der neuen Nachbarschaft viele ungenutzte Möglichkeiten produktiven Austauschs liegen. Als Schwenke dies in einem Artikel im Malmöer »Sydsvenska Dagbladet« zugespitzt formulierte, meldete sich die Provinzialregierung von Skåne und eine Unternehmergruppe um den Architekten Guntram Schott aus Kristianstad. Das Resultat: Gründung des Schwedenkontors, das sich zunächst in erster Linie als Serviceunternehmen für schwedische Firmen verstand, die am norddeutschen Bauboom der 90er Jahre teilhaben wollten. Doch dann ging es am Südufer der Ostsee bergab und am Nordufer wieder bergauf. Mecklenburg-Vorpommern hatte alsbald mit 18 bis 19 Prozent Arbeitslosigkeit zu kämpfen - und in Schweden fehlten die Fachleute.
Warum sollten deutsche Arbeitslose nicht Zugang zu den offenen Stellen beim nördlichen EU-Nachbarn finden, fragten sich die Schwedenkontor-Leute. Nach gründlicher Vorbereitung startete 2002 der erste Kurs. Seither wurden in Greifswald 520 Arbeitssuchende für einen Job in Nordeuropa ausgebildet, 320 von ihnen gingen nach Schweden, rund 100 nach Dänemark, Norwegen und Finnland. Der Andrang ist groß: auf 20 Plätze kommen 80 Bewerber.
In Schweden sind momentan alle Sparten Bauhandwerker - Heizungs- und Sanitärmonteure, Dachdecker, Maler, Tischler - dazu Mechaniker, Metallarbeiter, aber auch Freizeitpädagogen oder Hebammen besonders gefragt. Das schwedische Bildungssystem, erklärt Rainer Schwenke, führe zwar 80 Prozent der Schüler zum Abitur, produziere aber zugleich empfindliche Lücken: »Viele junge Schweden wollen Produktdesigner, Eventmanager oder ähnliches werden, wer will da schon als einfacher Dachdecker arbeiten?«
Ohne die Sprache geht nichts
In dem hellen Seminarraum, in dem Schwenke seine Erfolgsstory ausbreitet, stehen an der Tafel einige einfache schwedische Sätze, mit denen sich die drei Nordlandfahrer offenbar vor wenigen Minuten befassen mussten. »Han heter Johan« (er heißt Johan) ist da zu lesen oder »Johan är inte gift, han är sambo« (Johan ist nicht verheiratet, er lebt mit jemandem zusammen). »Die Sprache ist sehr wichtig, ohne sie geht nichts«, meint Schwenke. Dazu kommen viele Stunden Landeskunde, eingeschlossen Arbeits- und Steuerrecht, Sozialversicherung und Rolle der Gewerkschaften.
Zwischendurch ist für einige Berufsgruppen auch praktische Ausbildung angesagt, beispielsweise für Dachklempner und Heizungs-Sanitärmonteure. Da die Dächer in den schwedischen Großstädten meist mit Blech versiegelt sind und es dafür spezieller Fertigkeiten bedarf, kam mehrfach extra ein erfahrener schwedischer Lehrausbilder nach Greifswald. Inzwischen sind in drei schwedischen Dachbaufirmen 21 »Greifswalder« fest angestellt - natürlich zu schwedischen Tarifen, betont Schwenke, abgesichert durch Vereinbarungen mit Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften.
Die viermonatige Ausbildung hat es in sich. »Viele sagen sich, "das ziehe ich durch", sie sind hoch motiviert«, schwärmt Schwenke. Aber manche, die schon länger arbeitslos sind, haben Schwierigkeiten, über Monate acht Stunden am Tag zu lernen. Auch der künftige Einsatz im fremden Land fern von Freunden und Familie weckt allerlei Ängste. Die sollen unter anderem mit einer dreitägigen Exkursion nach Schweden und natürlich mit dem großen sechswöchigen Praktikum - in der Regel an den künftigen Arbeitsplätzen - abgebaut werden.
Die Leute vom Schwedenkontor haben unterdessen einiges Fingerspitzengefühl bei der Auswahl künftiger Arbeitsplätze entwickelt. »Wir sehen, wer fit genug ist, um in einem größeren Unternehmen zu bestehen, oder wer eher bei einem kleineren Arbeitgeber, einer Werkstatt mit sechs, sieben Leuten quasi mit Familienanschluss, am besten aufgehoben ist«, meint Schwenke. Während anfangs 60 Prozent der Kursteilnehmer vermittelt werden konnten, sind es jetzt 90 Prozent.
Von den bislang 520 Ausgebildeten sind rund 100 im Laufe der Zeit in deutsche Lande zurückgekehrt - einige, weil es mit der Familie nicht funktionierte, andere, weil sie einen Arbeitsplatz in der Heimat fanden. Wiederum andere, etwa 20, haben ihren Lebensmittelpunkt bereits ganz nach Skandinavien verlagert. Auf den finnischen Ålandinseln, deren Bewohner Schwedisch sprechen, hat sich beispielsweise eine kleine Kolonie von zwölf »Greifswaldern« gebildet, die vor allem in der Werftindustrie des Archipels einen Job fanden und von der regionalen Arbeitsverwaltung geradezu rührend betreut werden.
Die Leute von Ostseebildungszentrum und Schwedenkontor sind es gewohnt, auf neue Entwicklungen zu reagieren. Deshalb wird der nächste Kurs, der am 13. November beginnt, ein Dänischkurs sein - schon seit zwei Jahren vermittelt das Kontor verstärkt auch Fachkräfte in das Land zwischen Nordsee und Öresund. »Bei einer Arbeitslosenquote von nur vier Prozent gibt es in Dänemark enormen Bedarf«, weiß Schwenke.
Arbeitsförderung über den Tellerrand hinaus
Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern unterstützte bislang die Bemühungen des Schwedenkontors. Der bisherige Arbeitsminister Helmut Holter (Linke) habe mit strategischem Blick auf einen gemeinsamen Arbeitsmarkt Ostseeraum orientiert. Vorrang habe, Leute in Arbeit zu bringen - wenn es hier kurzfristig nicht gelingt, dann eben in Schweden. So war auch ein Programm für 500 junge Arbeitslose angelegt, von denen das Greifswalder Kontor einen Teil ausbildete und vermittelte. Wie sich die neue rot-schwarze Regierung in Schwerin in Sachen Arbeitsförderung engagieren wird, ist offen. Schwenke kann nur empfehlen, »die über den Tellerrand hinausreichende Strategie, die man "mobil im Ostseeraum" nennen könnte, eher zu qualifizieren als in Frage zu stellen«.
Betrachtet man Caspar David Friedrichs Gemälde etwas genauer, sieht man, dass der Jüngste der Drei-Generationen-Gruppe am Strand des »Utkiek« eine kleine schwedische Fahne in der Hand hält - der Maler ließ sich vor 170 Jahren wohl kaum träumen, dass sich seine pommerschen Landsleute, der Not...
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