Lohnkürzung statt Tarifreform

»Jahrhundertwerk« mit Nebenwirkungen: Metallindustrie will ERA zu Einschnitten nutzen

  • Marcus Schwarzbach
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.

Der neue Entgeltrahmentarifvertrag (ERA) soll in der Metallindustrie zur Lohnsenkung genutzt werden. Diesen Eindruck haben jedenfalls Betriebsräte bei DaimlerChrysler und Siemens gewonnen. Selten war die Umsetzung eines neuen Tarifvertrages in der Branche so umstritten.

Gewerkschafter verbanden den ERA einst mit großen Hoffnungen. Die Verhandlungen zum neuen Tarifvertrag liefen über mehrere Jahre. Die Debatte um einen einheitlichen Tarifvertrag für Arbeiter und Angestellte hatte schon in den 80er Jahren begonnen. Grundlage für die Entlohnung der Angestellten war in den bisherigen Metall-Tarifverträgen nicht selten der erreichte Bildungsabschluss, während bei Arbeitern oft die körperliche Belastung ausschlaggebend war. Nach dem Willen der IG Metall sollte der ERA-Tarifvertrag vor allem die Gehaltsunterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten aufheben. Hintergrund sind die veränderten Rahmenbedingungen der Arbeit. Durch fortschreitenden technischen Wandel veraltet Wissen schneller als früher. Die Bedeutung der Qualifikation nimmt für die Beschäftigten zu. Mit ERA soll sich dies auf die Bezahlung der Arbeitnehmer auswirken. Von daher sprach die IG Metall bei Unterschrift des neuen Tarifabschlusses von einem »Jahrhundertwerk«. Aber auch die Unternehmerverbände sahen seinerzeit in ERA ein transparenteres und gerechteres System als das alte Lohn- und Gehaltssystem. Dies solle unmittelbare Auswirkung auf die Motivation der Mitarbeiter haben, so die Verbände bei Vertragsunterzeichnung. In den Betrieben sehe es aber ganz anders aus, grummelt es allenthalben in der IG Metall. Zwar werde die Unterscheidung nach Arbeitern und Angestellten bei der Bezahlung tatsächlich abgeschafft. Das Problem in der Praxis sei jedoch: Jede Stelle muss neu bewertet, jeder Mitarbeiter neu eingruppiert werden. Unternehmen versuchten häufig, Beschäftigte möglichst niedrig einzustufen. Die Arbeitgeber wollten die Lohnsumme langfristig senken, und so würden in einigen Betrieben Berufserfahrungen nicht mehr wie bisher berücksichtigt. Stellen von Facharbeitern würden als Tätigkeiten von angelernten Beschäftigten eingruppiert, bei Sekretärinnen werde erforderliches Fachwissen nicht in die neue Eingruppierung einbezogen. Auch die Arbeitsteilung werde verschärft, klagen nicht wenige Betriebsräte. Können Arbeiter bisher flexibel verschiedene Teile der Maschine montieren, wollten Betriebe diese Arbeit in kleine Segmente zerlegen, um nicht mehr Facharbeiterlohn zahlen zu müssen. Probleme mit der ERA-Umstellung gibt es offenbar flächendeckend in der Branche. Auffallend ist jedoch aus Gewerkschaftssicht die Beteiligung großer Konzerne. So versuche Siemens durch ERA die Löhne zu kürzen, kritisiert die IG Metall. Erstmals hätten bei Siemens Sekretärinnen auf einer Betriebsversammlung massiv gegen das Management protestiert. Ihre Bezahlung soll um zwei Entgeltgruppen gekürzt werden. Zwar besteht für die Beschäftigten eine tarifliche Besitzstandswahrung, die Kürzungen nur bei Tariferhöhungen vorsieht. Aber bei Kürzungen von teilweise 500 Euro monatlich nehmen die betroffenen Arbeitnehmer in den nächsten Jahren nicht mehr spürbar an den Tariferhöhungen teil. Auch bei Daimler-Chrysler in Untertürkheim gebe es Versuche, Fachkräfte niedriger zu entlohnen, berichten Metaller. Bei den herunterstufenden Eingruppierungen wird es zu Einsprüchen kommen. Diese Möglichkeit hat der betroffene Beschäftigte oder der Betriebsrat. Solche Fälle würden in jedem Einzelfall in paritätisch besetzten Kommissionen, die der Tarifvertrag als Schiedsstelle vorsieht, zu ent...

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