»Zu preisen die Heimat, die liebe«

Sammlung von Gedichten und Erinnerungen des niedersorbischen Lehrers Fryco Rocha

Gleich mehrfach lobte 1933 der sorbische Redakteur Fryco Rocha im »Serbski Casnik« die Faschisten. Ob er sich dabei nur verstellte?

Der Bauernsohn Fryco Rocha (1863-1942) war Sorbe und wurde Schriftsteller und Lehrer, Jahre nach seiner Pensionierung dann noch Redakteur der niedersorbischen Wochenzeitung »Serbski Casnik«. In dieser Funktion ermunterte er ab 1931 seine Landsleute, die sorbische Sprache und die sorbischen Bräuche zu bewahren, auf die althergebrachte Weise zu leben und nicht die städtischen Unarten anzunehmen.

Pětš Janaš und Roland Marti haben im Domowina-Verlag gerade einen zweisprachigen Band mit Gedichten, Erinnerungen und Artikeln Rochas herausgegeben. Es ist ein wunderbares, lesenswertes Buch, in dem ein dunkles Kapitel allerdings nicht ausgespart wird. Der Titel des Buches: »A pó zemi libju te strusacki« (deutsch: »Und überall flattern Blüten hin«). Darin nachzulesen ist ein Zeitungsbeitrag, in dem sich Rocha auf Brandenburgs Oberpräsidenten Kube beruft, der bei einem Heimatfest im Spreewald gesagt habe: »Die schönen alten Trachten hier zeigen, dass es nicht nötig ist, jede närrische neue Mode mitzumachen« und »Ich will, dass ihr die alten Bräuche eurer Heimat weiterhin pflegt.« Das seien wunderbare Worte von hoher Stelle, schwärmt Rocha.

Der »Herr Oberpräsident« Wilhelm Kube (1887-1943) ist tatsächlich nicht irgendwer. Besser bezeichnet wäre Kube aus heutiger Sicht als NSDAP-Gauleiter, denn dann wüsste jeder Leser gleich, um was für einen Mann es sich handelt. Später im Zweiten Weltkrieg wurde Kube noch Generalkommissar im besetzten Belorussland - ein Kriegsverbrecher.

Die Verbeugung, die Rocha 1933 vor den Faschisten machte, die gerade die politische Gewalt in Deutschland an sich gerissen hatten, ist kein einmaliger Ausrutscher gewesen. Gleich mehrfach lobte der Journalist die neuen Machthaber. Ob das eine letztlich verunglückte Taktik war, den »Serbski Casnik« zu retten und einen gewissen Spielraum für die sorbische Kultur zu gewinnen, oder ob Rocha die Nazis anfangs wirklich bewunderte, lässt sich nicht feststellen. Er selbst konnte dazu später keine Auskunft mehr geben, da er die Befreiung vom Faschismus nicht mehr erlebte.

Die Herausgeber seiner Werke, Pětš Janaš und Roland Marti, vermuten jedoch, Rocha habe das Böse der neuen Zeit bereits früh erahnt. Die Faschisten, insbesondere Gauleiter Kube, haben das sorbische Leben nicht sofort offen bedroht. Sie haben dann aber doch die sorbischen Vereine zerschlagen und sorbische Widerstandskämpfer verfolgt. Spätestens dies müsste Rocha, der das sorbische Volkstum jahrzehntelang liebte und förderte, in eine mindestens heimliche Gegnerschaft gebracht haben. Hatte er sich doch bereits in der Kaiserzeit über immense, aber doch vergleichsweise geringfügige Beeinträchtigungen des sorbischen Lebens beschwert, als die Behörden den Unterricht in sorbischer Sprache untersagten und deutsche Lehrer ins sorbische Siedlungsgebiet hineinsetzten, während sie die sorbischen Pädagogen gern hinausschickten.

Es besteht kein Zweifel, wo sich Rocha politisch selbst gesehen hat. Er war klassisch konservativ, schrieb beispielsweise eine moralisch altbackene Geschichte über einen Ehebruch nieder. Auch rühmte er sich in seinen Erinnerungen geradezu beleidigt, als Lehrer immer im vaterländischen Sinne gewirkt und im Ersten Weltkrieg treu zur Obrigkeit gehalten zu haben. Aber das sei ihm von den Linken, die in der Weimarer Republik das Sagen gehabt hätten, heimgezahlt worden, weil sie ihn zugunsten jüngerer Kollegen bereits mit 60 Jahren in den Ruhestand zwangen.

Über die »Bolschewiken« schimpft Rocha in seinen Schriften, und er hetzt gegen den »unbarmherzigen Juden L. aus Cottbus«, von dem bedrängte Landwirte Geld zu einem Wucherzins von 20 Prozent leihen mussten, bevor es die Raiffeisengenossenschaft gegeben habe. Man habe ihn gewarnt, als Lehrer von Tauer ins rote Nest Kiekebusch umzuziehen, erzählt Rocha an anderer Stelle und verrät stolz, dort hätten die Einwohner dann vergeblich versucht, ihn zu den Linken hinüberzuziehen, die er nicht mag.

Es wäre jedoch ungerecht, Fryco Rocha allein aus diesem Blickwinkel zu sehen. Seine Gedichte und seine Prosa drehen sich um das schwere und doch als glücklich empfundene Dorfleben, um Liebe und um Folklore. Niedersorbisch hat er gedichtet, obwohl seine Vorgesetzten dies nicht gern sahen. Die literarischen Texte zeigen Rocha als gläubigen Christen, der in früher Jugend am eigenen Leibe erfahren hat, was Armut ist und was harte Arbeit. So berichtet er, wie seine Familie im Winter früh in den Wald zog und für geringen Lohn Bäume fällte und Holz spaltete, um das karge Einkommen aufzubessern.

Als Lehrer ging es Rocha anfangs auch nicht besonders, bis er eine einträgliche Stelle in Tauer fand. Dort verbrachte er viele Jahre. In dem Gedicht »Mein Tauer« schwärmt Rocha: »Bratš, spinaj te tšuny a wusoki zgłos/ nět kjarliž na domownju lubu.« (»Nun spanne die Saiten, stimm's hohe Lied an/ zu preisen die Heimat, die liebe.«)

Fryco Rocha: »Und überall flattern Blüten hin«, hrsg. von Pětš Janaš und Roland Marti, Domowina-Verlag, 488 Seiten, 16,90 Euro.

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