Solche Buchstaben können nicht lügen

Man hat bei diesem Tatort das Gefühl, dass nicht man selbst, sondern der Film dauernd heimlich Pinkeln geht. Matthias Dell über den Sonntagskrimi »Rebecca«

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

Der ARD-Sonntagabendkrimi macht einfach weiter, deshalb wird er so geliebt. Es gibt die Tiefen und die Höhen, die Sonne und den Regen, vor allem aber gibt es immer etwas, immer geht es weiter, immer weiter.

Auch nach der Til-Schweiger-Ballung vom Jahresanfang, die nach der Ausstrahlung zur Glaubensfrage erhoben wurde von Schweiger selbst, weil der nicht nur romantische Künstlerseele ist, sondern auch Carlschmittianer: Es gibt nur Freund und Feind, Lob und Verriss, Bewunderung und Neid.

In einer fast chinesisch anmutenden List hat die zen-buddhistisch-autopilot-kühle Tatort-Koordination nach dem Tschiller-Gewumms nicht etwa die beiden »moppelige(n) Kommissare, die ’ne Currywurst verspeisen« (Schweiger) programmiert, also den einen moppeligen (Schenk) und den anderen nicht so moppeligen (Ballauf) aus Köln, und auch nicht die Bierzocker von den »bayrischen Imbissen« (Schweiger), also den Ivo und den Udo, sondern, Trommelwirbelwirbelwirbel: Frau Blum (Eva Matthes) und den putzigen Perlmann (Sebastian Bezzel).

Kurz, das normalste und zugleich skurrilste Paar, das die ARD-Sonntagabendkrimi-Landkarte verzeichnen kann. Während Nick Tschiller in Hamburg Träume von Hollywood verwirklichen soll, kocht die Ambition in Konschtanz auf kleinster Flamme; dazu kommt das Debüt eines Drehbuchautors (Marco Wiersch) auf dem populärsten Sendeplatz des deutschen Fernsehens - in dieser Mischung erscheint die Episode als das Sedativum schlechthin.

Am Bodensee sind die Landschaften schön und die Bewegungen kontrolliert. »Rebecca« (SWR-Redaktion Ulrich Herrmann) heißt der neue Fall, der sich in, gemessen an den Verhältnissen des Schauplatzes, beachtlicher Krassheit darstellt: eine Natascha-Kampusch-Variation. Natürlich nicht die erste (siehe: kleinste Flamme), aber eine hartnäckige: Der ganze Filme handelt von Anfang an von nichts anderem. Und integriert die Real-Gruselgeschichte vom entführten Mädchen, das über Jahre von einem Mannes gefangen gehalten und »erzogen« wird, bevor es seiner Tyrannei entkommt, in die Clubregeln beim Tatort nicht einmal schlecht.

Als den ganzen Film in Gang setzende Leiche brennt zu Beginn der Peiniger Olaf Reuter. An der schnell zu ermittelnden Täterin Rebecca (Gro Swantje Kohlhof) wird dann geschickt die Opfergeschichte hervorgehoben und zum eigentlichen Gegenstand der Investigation: Wie geriet Rebecca in die Fänge von Reuter? Gibt es weitere Täter? Und weitere Opfer: Die Möglichkeit, dass ein zweites Mädchen noch lebend irgendwo auf seine Befreiung von der Pein wartet, ist die eigentliche Antrieb dieser Tatort-Folge. Bei der Figur der psychologischen Betreuerin (Imogen Kogge) gibt es übrigens ein Wiedersehen mit good old Joanna Heart aus dem alten Brandenburger Polizeiruf.

Man kann nicht sagen, dass Buch und Regie (Umut Dag) aus der spektakulären Geschichte die allergrößte Aufregung herauskitzeln wollten. »Rebecca« ist, bei aller Furchtbarkeit der Anlage, ein Beruhigungs-, kein Aufputschmittel. Was zu dem kuriosen Erzählmodus führt, dass sämtliche Konflikte da bereinigt werden, wo die Zuschauerin es nicht sieht: Man hat bei diesem Tatort das Gefühl, dass nicht man selbst, sondern der Film dauernd heimlich Pinkeln geht, dass er zwischendurch seine Hausaufgaben erledigt, ohne dass man davon etwas mitbekommen würde.

Eben war noch Streit bei der Frage, ob der von Rebecca als neuer Erzieher ausgewählte Perlmann (ausgerechnet!) dieses Amt annehmen, ob es einen Durchsuchungsbeschluss für die Olaf-Reuter-Ex-Geschäftspartnerwohnung geben, ob die Mutter von Rebecca (Sandra Borgmann) ihr Kind schon so sehen darf - in der nächsten Szene betreut Perlmann, durchsucht die Polizei, sieht die Mutter ihr Kind. Wenn man dieses Prinzip anschärft, wird es irgendwann komisch.

So befriedet der Film seine reizvollen Momente im Handumdrehen; in den Szenen, in denen das nicht nötig ist, wärmt eine gefühlvolle Klaviermusik (Ivo Zabkar) das Publikum wie das frische Frotteehandtuch den Saunagänger. Was soll Til Schweiger dazu noch sagen?

Eine Äußerung für jede Gelegenheit:
»Trotzdem, so einfach ist das nicht.«

Eine Ansage, mit der man in Gehaltsverhandlungen gehen sollte:
»Sie werden jetzt aber bitte nicht Ihre Beherrschung verlieren.«

Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Du bist der zweite.«

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