Nie mehr allein mit Bäumen

Smartphonejunkies und ihr Verhältnis zur Kulturgeschichte von Grünanlagen

  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn ein Zeitreisender aus den siebziger Jahren heute hier landen würde, wäre ihm vieles vertraut. Der Englische Garten in München sieht seit zweihundert Jahren nicht viel anders aus als heute, Autos gab es 1970 weniger, Jogger auch, aber die Mütter schoben ihre Kinderwagen, die Hunde spielten miteinander und die Radler kümmerten sich nicht darum, dass manche Wege nur für Fußgänger waren - leben und leben lassen.

Nur in diesem Punkt würde der Zeitreisende glauben, dass viele Spaziergänger verrückt geworden sind: sie führen Selbstgespräche, manche laut, mache verhalten; einige haben die Hand am Ohr, andere sprechen in die Verdickung eines erst bei näherem Hinsehen erkennbaren, dünnen Schlauchs, den sie um den Hals tragen. Und die meisten jüngeren Menschen, die auf den Parkbänken sitzen, tippen in kleine, flache Kästchen oder wischen immer wieder drüber und betrachten das Ergebnis wie eine unermüdliche, aber auch ewig unzufriedene Putzfrau.

Den Nicht-Zeitreisenden wundert das alles nicht mehr. Wer in der Öffentlichkeit laut redet, ohne dass sein Gesprächspartner sichtbar ist, der hat eben ein Smartphone mit Freisprechanlage und telefoniert. Und wer sitzt und wischt, checkt seine Mails oder Facebook und Twitter. So einfach ist das.

Nicht ganz, möchte ich sagen. Es verschiebt sich eine Beziehung, es entwickelt sich ein Übergewicht, das der Idee des Parks im Allgemeinen, des Englischen Gartens im Besonderen quasi entgegengesetzt ist. Als der Park in die Städte kam, war er als Oase der Ruhe und Naturnähe gedacht.

Mittelalterliche Städte hatten die Natur ausgegrenzt. In den vier Fresken, die Ambrogio Lorenzetti von 1337-1339 im Rathaus von Siena über die gute und die schlechte Regierung malte, sehen wir auch die frühen Vorstellungen über diesen Gegensatz. Da ist die Stadt, ein Gebilde aus Türmen, Mauern und Straßen; draußen das Land mit Hügeln und Bäumen. Lorenzettis Bilder sind nicht nur eine kunsthistorische Rarität, denn es gibt kaum weltliche Fresken aus dieser Zeit. Sie symbolisieren die getrennten Welten von Stadt und Land.

In der Neuzeit fielen die Stadtmauern. Der beschützte, kultivierte Raum war so gewachsen, dass ein romantischer Wunsch nach Bäumen, Wiesen und Sträuchern entstand. Die Menschen sehnten sich nach einer künstlich-anmutigen Wildnis, die anders war als die geometrischen Beete und zu Kugeln oder Würfeln gestutzten Bäume der französischen Gärten. Der Park brachte Natur in die Stadt, frei von der Zweckmäßigkeit der Äcker, der in Reih und Glied wachsenden Forste. Vor allem in Wien, das sich gegen die Türkenangriffe mit riesen Wallanlagen geschützt hatte, zeigen die Parks an den Ringstraßen bis heute, wie profitabel für die Bürger der neue Dialog zwischen Stadt und Natur wurde.

Im Park begegnete der Besucher den Bäumen, den Wiesen und dem Himmel. Er war ihnen ausgesetzt, ob sie ihn nun störten oder beruhigten. Er war allein mit ihnen. Nichts und Niemand wollte etwas von ihm; es gab hier keine Möglichkeit, sich wichtig zu machen, die eigene Geltung zu steigern, Geschäfte zu fördern oder Familienkonflikte zu klären.

Die Mutter, die ihren Kinderwagen in den Park schob, der Mann, der seine Sportschuhe schnürte und seine Fitness erprobte, sie waren auf sich selbst gestellt, ihren eigenen Gedanken ausgeliefert, befreit von ihrem sozialen Leben draußen. Sie konnten beten, meditieren, oder gar nichts tun. Sie durften, aber sie mussten mit sich klarkommen. Wenn sie an andere Menschen dachten, mussten sie den Gedanken zu Ende denken, die Gefühle zu Ende fühlen - sie konnten nicht anrufen, eine Textbotschaft schicken, eine Beziehung klären.

Das Telefonieren im Park heißt, dass das Soziale in einer Weise überhandgenommen hat und unentrinnbar geworden ist, die dem Zeitreisenden ungesund erscheint. Es sollte doch Zeiten geben, in denen beziehungsmäßig einfach gar nichts passiert. In denen es nur einen Baum gibt, aber keine SMS. In denen man sich nur der eigenen Existenz vergewissern kann und nicht mit unsichtbaren elektronischen Tentakeln nach anderen greift oder sich von diesen packen lässt. Wir alle wollen Liebe und Aufmerksamkeit, aber gerade weil dieses Bedürfnis so mächtig ist, wäre es doch heilsam, es sich nicht ständig zu erfüllen. Sozialfasten im Park? Dann muss das Smartphone zu Hause bleiben.

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