Von Brechts Maßnahme zur Marsnahme
„Während Elon Musk glaubt, aus dem Mars noch in unserer Generation eine zweite Erde machen zu können, wetten wir 550 Milliarden Euro, dass wir noch in dieser Generation aus der Erde einen zweiten Mars machen werden“ – so erklärt der Planetarier*innen-Chor in MarsOnEarth (2024) von andcompany&Co. Produziert am Berliner HAU und aufgeführt am Regenwasserrückhaltebecken des ehemaligen Flughafens Tempelhof, verbindet das Stück die ökologischen Konflikte um Teslas Fabrik in Grünheide mit den Weltraumfantasien des Tech-Milliardärs. Zugleich schlägt es Bögen zurück ins 20. Jahrhundert: zu Alexander Bogdanows Rotem Stern, wo erstmals die Vision einer kommunistischen Marsgesellschaft entworfen wurde, oder zu Brechts Maßnahme, die hier als Marsnahme wiederkehrt – als Chorstück über planetarische Krisen und „Teslokratie“.
Der Abend nimmt MarsOnEarth zum Ausgangspunkt, um weiter über die Fragen nachzudenken, die das Stück aufwirft: über die Aushöhlung demokratischer Verfahren im Namen vermeintlicher Effizienz ebenso wie über die historischen Tiefenschichten, mit denen andcompany&Co spielen. Denn das Spannungsfeld, das sich heute zwischen Teslokratie und Klimakrise auftut, zeichnete sich bereits im frühen 20. Jahrhundert ab – etwa wenn Brecht für ein „Theater des wissenschaftlichen Zeitalters“ sowohl mit der „Straßenszene“ als auch mit dem „Planetariums-Typus in der Dramatik“ experimentierte. Zwischen Autoverkehr, Unfall und Protest auf der einen Seite und den Visionen einer technisch entgrenzten Welt auf der anderen eröffnet sich damit eine bis heute virulente Konfliktzone. Was wird also aus Straße und Planetarium in Zeiten ökologischer Krise? Und was ließe sich aus dieser Verschiebung für die Zukunft von Demokratie und Widerstand lernen?
Sebastian Kirsch ist Theater- und Literaturwissenschaftler und hat in Bochum, Düsseldorf, Stockholm und Wien gelehrt. Er promovierte über die Geschichte der Zentralperspektive (Das Reale der Perspektive, 2013) und habilitierte mit einer Studie zum griechischen Chor und den antiken Praktiken der Sorge (Chor-Denken. Sorge, Wahrheit, Technik, 2020).
Kosten: 2,00