Die »politische Revolution« hat begonnen

US-Linke Bernie Sanders bietet der Favoritin Hillary Clinton bei Vorwahl in Iowa Paroli

  • Lesedauer: 3 Min.

Des Moines. »Bernie, Bernie«-Rufe hallen durch den Ballsaal eines Hotels am Flughafen von Des Moines. Auf Leinwänden laufen die jüngsten Zahlen des Vorwahlrennens der Demokraten im US-Bundesstaat Iowa ein, und mit jedem Zehntelprozent, das den Senator Bernie Sanders näher an die frühere Außenministerin Hillary Clinton heranrückt, steigt die Stimmung. »Es sieht so aus, dass wir praktisch gleichauf sind,« sagt Sanders, als er am Montag um kurz vor Mitternacht die Bühne betritt. Die »politische Revolution« habe an diesem Abend in Iowa begonnen.

Fünf Stunden vorher hat sich der dramatische Ausgang der Vorwahl bereits in der Aula der Lincoln High School abgezeichnet. Rund 130 Demokraten aus einem Stimmbezirk in Des Moines sind hier zu einem sogenannten Caucus zusammengekommen. Roberta Roney setzt sich zu den Clinton-Anhängern, die sich auf der einen Seite des Saals versammelt haben. »Sie hat mehr Erfahrung als Sanders«, sagt die 47-Jährige über die einstige First Lady. Außerdem sei ihr politisches Programm »realistisch«.

Roneys Sohn Jacob hat auf der anderen Seite Platz genommen, er trägt ein lilafarbenes T-Shirt und lässt sich Bartstoppeln über der Oberlippe wachsen. Neben ihm hängen Wahlplakate von Sanders. »Bernie ist etwas Neues, ein Außenseiter«, sagt der 18-jährige Erstwähler. Außerdem habe der Senator sehr wohl Erfahrung: »Er war für Jahrzehnte im Kongress.«

Der politische Generationenkonflikt in der Familie Roney hat die ganze Demokratische Partei erfasst. Vor allem junge Wähler begeistern sich für den 74-jährigen demokratischen Sozialisten, der eine gerechtere Verteilung des Reichtums, eine Abschaffung von Studiengebühren an staatlichen Universitäten und eine allgemeine Krankenversicherung verspricht. »Er ist der einzige Politiker in meinem ganzen Leben, der mir Hoffnung und Leidenschaft gegeben hat«, sagt die 31-jährige Andrea Hogan, eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern, bei Sanders' Wahlparty.

An der Lincoln High School liegt Sanders nach einer ersten Zählung der versammelten Anhänger knapp vorne. Auf der Seite des Senators sitzen 63 Wähler, bei Clinton 62. Sechs sind noch unentschieden und fünf unterstützen Marylands früheren Gouverneur Martin O'Malley, der noch im Laufe des Abend seinen Ausstieg aus dem Präsidentschaftsrennen erklären wird.

»Schließt euch der Revolution an«, ruft ein Sanders-Anhänger und versucht, die Unentschlossenen und die kleine O'Malley-Gruppe auf seine Seite zu ziehen. Eine halbe Stunde später zählen die örtlichen Wahlleiter noch einmal durch: Sanders liegt bei 69, Clinton bei 68 Unterstützern.

Der Stimmbezirk entsendet sieben Delegierte zu einer überregionalen Wahlversammlung, die wiederum auf Grundlage der lokalen Ergebnisse die Position des Bundesstaates Iowa für den Wahlparteitag der Demokraten im Juli festlegt. Rechnerisch entfallen auf jeden Bewerber 3,5 Delegierte - ein Münzwurf muss entscheiden.

Der Zeitung »Des Moines Register« zufolge wird in mehreren Stimmbezirken auf diese Weise eine Entscheidung herbeigeführt. In den meisten Fällen habe der Münzwurf Clinton begünstigt. In der Lincoln High School ist das Glück aber mit Sanders - er erhält vier Delegierte.

In seiner Rede erzählt der Senator später, wie er und sein Team vor neun Monaten ohne Geld und mit geringem Bekanntheitsgrad in Iowa begonnen hätten. »Und wir haben uns mit der mächtigsten politischen Organisation in den Vereinigten Staaten von Amerika angelegt«, fügt er mit Blick auf die Clintons hinzu.

Nach Auszählung fast aller Stimmen kommt die frühere Außenministerin in Iowa auf 49,9 Prozent, Sanders auf 49,6 Prozent. »Das war wie das Erklimmen einer senkrechten Bergwand mit einer Gegnerin, die in einem wohltemperierten Aufzug gefahren ist«, sagt der 26-jährige Sanders-Wahlkampfhelfer Benjamin Erkan mit Blick auf Clintons Ressourcen. »Und wir haben sie auf dem Gipfel getroffen.« AFP/nd

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