Panzer und Raketen

Charaktere, die wie Argumente in einer Talkshow inszeniert werden. Matthias Dell über den Stuttgarter Tatort »Im gelobten Land«

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor ein paar Jahren gab es einen Twitteraccount namens @TatortWatch. Dahinter steckten rechts- und innenpolitisch interessierte Grüne, die auf den nicht abwegigen Gedanken gekommen waren, die Popularität der Fernsehreihe zur politischen Bildungsarbeit zu nutzen. Kam mittelprächtig an, weil gewisse Grünen-Allergiker Bevormundung witterten. Dabei war der Versuch, am fiktionalen Objekt die Rechtslagen von Strafsachen zu erklären, weit sinnvoller als das, was manche Medien heute als »Faktencheck« nach der Ausstrahlung anbieten (»Ein Innensenator, der kokst – ist das möglich?«).

»Im gelobten Land« (SWR-Redaktion: Brigitte Dithard) fördert nun den Wunsch nach einem informierten Blick auf die Polizeiarbeit im »Tatort«, insofern die Stuttgarter Folge einen Höhepunkt an unprofessioneller Performance auf Seiten der Kommissare bildet. Und damit ist nicht das Film-ist-halt-nicht-Wirklichkeit-Gemoser gemeint, also Hinweise der Sorte, dass der echte Kommissar 99 Prozent seiner Arbeit am Computer mit dem Schreiben von Berichten und dem Ausfüllen von Formularen verbringt.

Es ginge eher um solche dämlichen Szenen (Buch: Christian Jeltsch, Regie: Züli Aladag) wie der relativ zu Beginn, als Lonely Lannert (Richy Müller) mit gezückter Waffe auf den verdächtigen Kostic (eine komische Figur – der leutselige Schleuser: Sascha Alexander Gersak) zu marschiert. Er wittert also Gefahr, kommt aber nie auf die Idee, »Hände hoch« zu rufen, was selten so angebracht war wie hier, wo Kostic die ganze Zeit seine rechte Hand hinterm Rücken hält, wo, die Zuschauerin hat sie schon gesehen, eine Waffe steckt.

Statt den Typen zu untersuchen, den er immerhin für so suspekt und gefährlich hält, dass er ihm seine Pistole vors Gesicht hält, bricht Lannert unter Einbeziehung der auf ihren geschleusten Familiennachzug wartenden Lela (muss mal wieder radebrechen: Florence Kasumba) eine Diskussion vom Zaun, um Kostic rhetorisch aufs Kreuz zu legen. Einer US-Amerikanerin wäre diese komplett absurde Handlung als Szene mit Polizeibegleitung vermutlich gar nicht vermittelbar.

So hat der Stuttgarter »Tatort« also einen Fall, der sich allein Lannert Dilettantismus verdankt. Dargelegt übrigens in einer spannungslosen Prolepse, dabei ist dieses erzählerische Mittel doch für Überraschungseffekte da. Hier aber: Vorgucker am Anfang, ein wichtigtuerisches Insert (»Acht Stunden früher«), dann diese Szene – und das war's schon mit den acht Stunden.

Dass es Lannert mit dem Dilettantismus ernst ist, wird mit einer weiteren Szene bekräftigt. Er lässt sich die Waffe nämlich noch ein zweites Mal abnehmen, in dem er sich als Polizist so bewegt, dass er den Rücken gerade nicht an der Wand hat. Kollege Bootz (Felix Klare) erweist sich keineswegs als hellere Kerze auf der Torte: Er delegiert bei der Untersuchung einer Flüchtlingsunterkunft seine Arbeit an einen Migranten (Orhan Kilic), der sich freundlich als Übersetzer anbietet, tatsächlich aber die Schleuser deckt. Als der Schwindel endlich auffliegt, macht Bootz alleine kehrt, um die Sache zu lösen – dabei steht vor der Tür ein ganzes SEK.

Am Ende gehören solche Insuffizienzen in den Bereich der Kunstkritik. »Im gelobten Land« schafft es, seine Helden als Deppen zu erzählen, ohne dafür Komödie zu werden. Vermutlich registriert der Film nicht mal, wie schlecht er seine eigenen Protagonisten macht, weil es ihm nur um das Hochhalten einer intuitiven Moral geht: Lannert hat anders als die Sesselpupser von der Drogenfahndung am Anfang das richtige Gefühl gehabt bei der Lasterbeobachtung, und nun muss die gefühlte Mitschuld am Tod der erstickten Migranten mit einer erfolgreichen Migrantenbefreiung aus einem Laster abgegolten werden. Die Bilder davon, wie Lannert die Geretteten zu ihrer Rettung beglückwünscht, sind so lausig wie viele in dem Film (Kamera: Andreas Schäfauer, Christoph Schmitz). Dazwischen benimmt sich der »Tatort« wie die »Anne Will«-Sendung nach ihm, wenn er seine Charaktere wie Argumente in einer Talkshow inszeniert – mit einem so dicken Strich, dass Kinder, die zum ersten Mal eine Schere halten, keine Probleme hätten, das auszuschneiden, was hier politischer Diskurs sein soll.

Eine Devise, die beim verfrühten Abschied aus dem Büro zu berücksichtigen ist:
»Wir dürfen jetzt nicht auffallen, wenn wir hier abhauen.«

Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Immer schön Profi bleiben.«

Etwas für den Grabstein:
»Der war Professor für Literatur oder so was.«

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