Bulldozer bedrohen »Dschungel«

Frankreichs Regierung will nur noch 2000 Flüchtlinge in Calais dulden und Camp einebnen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Frankreichs Innenminister bleibt dabei: Das Flüchtlingscamp in Calais muss geräumt werden. Die Insassen sollen umsiedeln.

Die Absicht der Behörden, ab Mittwoch den sieben Hektar großen südlichen Teil des »Dschungel« genannten Flüchtlingscamps in Calais mit Bulldozern einzuebnen und die dort lebenden 800 bis 1000 Ausländer umzusiedeln, musste vorübergehend ausgesetzt werden.

Acht Hilfsorganisationen hatten dagegen vor dem Verwaltungsgericht in Lille geklagt und die Richterin, die sich am Dienstag in Calais selbst ein Bild von der Situation gemacht hat, kündigte eine Entscheidung für Mittwochnachmittag an. Die geplante Evakuierung geht auf ein Urteil des Staatsrates, des Obersten Verwaltungsgerichts, zurück. Dieser hatte im vergangenen November das Innenministerium verurteilt, in Calais für die Flüchtlinge »menschenwürdige Lebensbedingungen« herzustellen.

Seitdem wurde dort eine Siedlung aus 125 beheizbaren Containern mit Platz für 1500 Menschen errichtet. Dort sind jedoch erst 1100 Plätze von denjenigen belegt, deren Zelte und Hütten man bereits in einer ersten Aktion im Januar abgerissen hatte. Ein gesichertes Lager für Frauen und Kinder wurde durch die Behörden auf 500 Plätze erweitert. Dort ist noch die Hälfte frei.

Auf diese 2000 Plätze in festen und kontrollierbaren Unterkünften will die Regierung jene Ausländer konzentrieren, die den Traum vom Übersetzen nach Großbritannien nicht aufgegeben haben. Die Zahl von 2000 Ausländern bei 70 000 Einwohnern von Calais hält Fabienne Buccio, Präfektin des Departements Pas-de-Calais, für »akzeptabel«.

Dafür setzen die Behörden vor allem auf die freiwillige Übersiedlung der anderen Flüchtlinge in die rund 100 Notaufnahmelager im ganzen Land. Dort sollen sie »in Ruhe nachdenken« und das Angebot annehmen, einen Asylantrag für Frankreich zu stellen. Doch dazu waren bisher erst rund 2000 Flüchtlinge bereit, vor allem Familien mit Kindern. Für sie wurden die Bedingungen im Winter in Calais zu hart.

Die täglich vom »Dschungel« aus zu diesen Lagern abfahrenden Busse bleiben größtenteils leer. Beispielsweise sind in der vergangenen Woche am Dienstag nur 69 Flüchtlingen abgefahren, am Mittwoch 14, am Donnerstag 21. Doch die Zahl der Flüchtlinge in Calais beträgt nach offiziellen Angaben 3700, während die Hilfsorganisationen sie auf 4000 bis 6000 schätzen.

Innenminister Bernard Cazeneuve ist fest entschlossen, über kurz oder lang den »Slum unter freiem Himmel« zu liquidieren. Dabei versichert er, dass alles »human, schrittweise, durch Überzeugung und unter Respektierung der Menschenwürde« erfolgen solle. Die Hilfsorganisationen halten die Pläne der Regierung für unrealistisch und menschenfeindlich. Sie gehen davon aus, dass die Mehrzahl der Flüchtlinge ausweichen wird und sich entlang der Küste neue wilde Camps bilden werden. Aus Furcht, dass Ausländer aus Calais nach Belgien kommen, um vom Hafen Zeebrugge aus die Flucht nach Großbritannien zu versuchen, hat Belgien am Dienstag wieder Kontrollen an der Grenze eingeführt.

»Wenn wir uns gegen die forcierte Liquidierung des ›Dschungel‹ wenden, so nicht weil wir diese Elendssiedlung verteidigen wollen«, meint François Guennoc vom Hilfsverein Auberge des migrants. »Aber hier haben sich die Flüchtlinge eingerichtet, hier haben sie ein Netzwerk von Freunden und Helfern. Außerdem wurden die Zelte und Hütten aus Material, das mit 300 000 Euro Spendengeld gekauft wurde, von den Flüchtlingen und den Hilfsvereinen gemeinsam aufgebaut und oft sogar winterfest gemacht. Hier gibt es improvisierte Schulen, Gebetsräume, eine Bibliothek, ein medizinisches Zentrum. Das alles mit Bulldozern sinnlos zu zerstören, wäre ein Frevel.«

Die Hilfsvereine plädieren dafür, nichts zu überstürzen, sondern gemeinsam - Flüchtlinge, Helfer und Behörden - nach dauerhaften Lösungen zu suchen.

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