Kampf gegen den Schmerz und das Vergessen
Angehörige der Passagiere des seit zwei Jahren vermissten malaysischen Flugzeugs verlangen die Fortsetzung der Suche
Irgendwann wird der Schmerz nachlassen, dachte Grace Nathan in den ersten qualvollen Wochen nach dem Verschwinden des Malaysia-Airlines-Flugs MH370. Ihre Mutter Anne Daisy (56) war an Bord. Doch die Ungewissheit über das Schicksal ihrer Angehörigen hält Nathan und andere Familien auch zwei Jahre nach dem Verschwinden des Flugzeugs am 8. März 2014 noch immer wie im Würgegriff. »Dieser Schmerz frisst uns auf«, sagt die junge Anwältin aus Malaysia.
Der Stress hinterlässt Spuren. »Es ist mir schon passiert, dass ich mein Büro plötzlich nicht mehr gefunden habe und tatsächlich auf dem Smartphone die Adresse raussuchen musste«, sagt Nathan. »Oder ich fand das richtige Stockwerk nicht mehr.« Als sie Ende 2014 ihr Staatsexamen erfolgreich abgelegt hatte, wählte sie instinktiv als erstes die Handynummer ihrer Mutter. Die tote Leitung riss sie aus einem Moment des Glücks in die qualvolle Realität. »Wir können das einfach nicht hinter uns lassen, weil wir nicht wissen, was passiert ist.«
Die Angehörigen haben Sorge, dass der Fall in Vergessenheit gerät. Die Resonanz auf eine geplante Gedenkzeremonie sei dieses Mal deutlich schwächer gewesen als vorher, sagt Nathan. In China haben Angehörige der 152 Chinesen an Bord Proteste aufgegeben. »Im vergangenen Jahr haben wir versucht, mit Demonstrationen die Wahrheit ans Licht zu bringen. Weder die Behörden in Malaysia noch die Fluggesellschaft haben etwas unternommen«, sagt Wen Wancheng, dessen 34 Jahre alter Sohn an Bord der Maschine war. »Deshalb ziehen wir jetzt vor Gericht.«
Der Pekinger Anwalt Zhang Qihuai wollte vor dem Jahrestag am 8. März im Namen von 20 bis 30 Familien Klage gegen Malaysia Airlines und Flugzeughersteller Boeing einreichen. Auch in Australien und den USA laufen Klagen. Den Angehörigen gehe es nicht in erster Linie um Geld, sagt Anwalt Arunan Selvaraj in Kuala Lumpur. Er vertritt mehr als ein Dutzend Angehörige. »Sie wollen, dass die Wahrheit über den Flug ans Licht kommt.« Für den US-Anwalt Roy Altman ist die Sache klar. Er hat im Namen seiner 100 Klienten u. a. Klage gegen den Flugzeughersteller Boeing eingereicht und glaubt beweisen zu können, dass das Fluggerät defekt war. »Eine massive Kaskade elektrischer Versagen«, liest er aus einem Bericht australischer Ermittler.
Die Fluggesellschaft, die malaysischen Behörden und die Luftwaffe haben seine Klienten auch verklagt. »Die Luftwaffe hat die Maschine auf dem Radar gehabt, aber die Behörden haben stundenlang nichts unternommen, etwa Militärjets aufsteigen lassen«, sagt Altman. »Selbst wenn sie nichts hätten tun können, als die Maschine zu begleiten, wüssten wir wenigstens genau, wo sie abgestürzt ist.«
Die besten Chancen auf Aufschluss, was an Bord passierte, würden das Wrack und die Blackboxen geben - wenn sie noch intakt sind. Aber das Wrack bleibt verschwunden. Die teure Suche mit Spezialschiffen im Indischen Ozean soll im Juli eingestellt werden, wenn bis dahin nichts gefunden wird. Das empört die Angehörigen. »Wir werden sie auffordern, die Suche fortzusetzen«, sagt Zhang Na, deren Ehemann Hou Bo an Bord war. Auch die Gruppe »Voice 370«, die Angehörige vertritt, verlangt die Fortsetzung der Suche. »Sie dürfen nicht das Handtuch werfen, den Fall schließen und das Ganze als unlösbares Rätsel abhaken.«
Auf der Insel La Réunion ist möglicherweise ein weiteres Wrackteil des Flugs MH370 angeschwemmt worden. Ein Inselbewohner, der bereits im vergangenen Jahr eine Flügelklappe entdeckt hatte, übergab der Polizei am Sonntag ein 40 mal 20 Zentimeter großes Objekt. Es habe dieselben Leichtbau-Konstruktionsmerkmale aufgewiesen wie die im Juli 2015 gefundene Flügelklappe. Erst vor wenigen Tagen war vor der Küste Mosambiks ein Wrackteil eines Flugzeugs entdeckt worden, das laut Malaysias Verkehrsministeriums mit »hoher Wahrscheinlichkeit« von einer Boeing 777 stammt. dpa/nd
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