Die Schwäche des dritten Pols

Unsichtbar zwischen Merkel und ihren rechten Widersachern: Tom Strohschneider über die Probleme des Lagers der Solidarität

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 3 Min.

Es gehört zu den Wahrheiten des Wahlsonntags, dass drei Viertel der Wähler nicht die AfD angekreuzt haben. Was zugleich nicht heißt, dass die Mehrheit in den substanziellen politischen Fragen - Asylrecht, Europa, Umverteilung - eine solidarische Alternative anstrebt oder gar sich als Teil eines Gemeinsamen betrachtet.

Die Lage ist eher so: Es gibt ein politisches Lager, das mit dem Kurs von Angela Merkel identifiziert wird und von deren Partei bis in die Grünen hinein reicht - es setzt auf eine »Europäisierung« der Abschottung. Das rechte Widerlager zur Kanzlerin steht für eine »nationale Lösung« und heizte die Debatte über die angebliche »Flüchtlingskrise« an und schürte dabei die demokratiepolitisch gefährliche Rede vom »Notstand« und »Staatsversagen«. Die Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Lagern dominierte die drei landespolitischen Abstimmungen, unterstützt von einem politisch-medialen Betrieb wurden die Abstimmungen zu einer Art Referendum stilisiert: zwischen diesen beiden Polen.

Das führt dazu, dass ein drittes Lager praktisch unsichtbar blieb: Die Zigtausenden, die sich seit Monaten um Geflüchtete kümmern, die sich auf Demonstrationen den Rassisten entgegenstellen, die sich für eine verteilungspolitische Wende zu Gunsten einer gerechten Finanzierung der Aufnahme und Integration von Menschen einsetzen - dieser »dritte Pol« hat in der Auseinandersetzung zwischen Merkels »Wir schaffen das« und dem rechten Lager zu wenig Akzente setzen können. Dies auch deshalb, weil die mediale Konfliktlogik den Eindruck verstärkte, in einer bundespolitisch aufgeladenen Debatte stelle ein Teil der Regierung schon die »Opposition«. Getroffen hat das auch Linkspartei und die Grünen dort, wo sie nicht als Landesvaterpartei gesehen werden konnten.

Der »dritte Pol« setzt sich dabei auch quer zur bekannten Polit-Landschaft zusammen: Es erweist sich immer mehr, dass die politische Substanz und die parteipolitische Form nicht mehr kongruent sind. Die Grenzen jenes »politischen Blocks an sich«, der für eine europäische Lösung, weniger Abschottung, Erhalt des Asylrechts, menschenwürdige Bedingungen für Geflüchtete und eine über Umverteilung finanzierte materielle soziale Basis für alle unabhängig von Herkunft und Pass eintritt, ziehen sich durch fast alle Parteien - ein »politischer Block für sich« wird daraus aber unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht, weil die Politik in den »alten Formen« verbleibt. Dass die Grenzen nicht selten innerhalb der Parteien verlaufen und nicht zwischen ihnen, lässt sich an den Debatten über das Gastrecht in der Linkspartei, über angeblich sichere Drittstaaten bei den Grünen, über Obergrenzen in der Union und über die von Gabriel gespielte nationale soziale Karte in der SPD ablesen.

Es kommt noch eines hinzu: Ein großer Teil des »dritten Pols« organisiert und engagiert sich zudem ausdrücklich jenseits des Parteiensystems - ohne einen Transmissionsriemen in die Parlamente bleibt aber alle soziale Bewegung schwach.

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