Präsident Javier Milei: Mit Trump im Rücken

Argentiniens Präsident Javier Milei hat an der Bevölkerung hart gespart – nun steht ihr Urteil bevor

  • Jürgen Vogt
  • Lesedauer: 4 Min.
Proteste gegen Mileis Sparpolitik in Buenos Aires
Proteste gegen Mileis Sparpolitik in Buenos Aires

Es ist eine entscheidende Machtprobe für Argentiniens Präsident Javier Milei: Am Sonntag finden Kongresswahlen statt. Die Hälfte der 257 Abgeordneten der Abgeordnetenkammer und ein Drittel der 72 Mitglieder des Senats werden gewählt. Da Wahlpflicht herrscht, sind alle rund 36 Millionen Wahlberechtigten aufgefordert, an die Urnen zu kommen. Es sind die ersten landesweiten Wahlen seit dem Sieg des Libertären Milei in der Stichwahl um das Präsidentenamt im November 2023.

Damals war die galoppierende Inflation die Sorge Nummer Eins der Bevölkerung. Die hat Präsident Milei mit seinem radikalen Sparkurs inzwischen auf eine Monatsrate von um die zwei Prozent reduziert. Für das laufende Jahr wird nun mit einer Rate von knapp unter 30 Prozent gerechnet. Im Vergleich zu Deutschland ist das immer noch enorm, aber in Argentinien ist es ein Segen, wenn man die Rate von 118 Prozent im letzten Jahr bedenkt.

Der größte Erfolg Mileis in der ersten Hälfte seiner Amtszeit hat jedoch dazu geführt, dass die Inflation auf der Liste der Sorgen weit nach unten gerutscht ist. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes steht ganz oben. Und das obwohl Argentiniens Wirtschaft 2025 mit einem Plus von 4,5 Prozent die lateinamerikanische Volkswirtschaft mit dem höchsten Wachstum sein wird, wie der Internationale Währungsfonds vor einigen Tagen bekanntgab.

Das Wirtschaftswachstum – nur auf den ersten Blick gut

Hält man aber die Lupe über die 4,5 Prozent, dann zeigt sich: An den arbeitsintensiven Branchen geht das Wachstum vorbei, dort nimmt die Arbeitslosigkeit zu. Ein Beispiel dafür ist die Bekleidungs- und Schuhindustrie. Nach Angaben der argentinischen ›Stiftung Pro Tejer‹ ging die Produktion zwischen Dezember 2023 und Juni 2025 um 14,5 Prozent zurück. 11 500 Arbeitsplätze gingen verloren und damit zehn Prozent der Beschäftigten. Zwischen Dezember 2023 und Juni 2025 mussten 380 mittelständische Firmen und Familienunternehmen schließen.

Die großen Wachstumstreiber Argentiniens sind Finanzdienstleistungen, Bergbau und Agrarwirtschaft. Dagegen ist die Industrieproduktion insgesamt rückläufig, der Groß- und Einzelhandel schwächelt und die Bauwirtschaft ist fast vollständig zum Erliegen gekommen. Offiziell beläuft sich die Arbeitslosenquote auf 7,6 Prozent. Diese Zahl ist allerdings wenig aussagekräftig in einer Wirtschaft, in der fast die Hälfte aller Aktivitäten informell und jenseits aller Statistik stattfindet.

Hinter der Arbeitslosigkeit ist die Korruption auf den zweiten Platz der Liste der Sorgen geklettert. Und auch hier ist Milei in der Defensive. Seit Monaten lösen sich Korruptions- und Bereicherungsskandale nahtlos ab, die in Verbindung mit dem Präsidenten und seiner Regierung stehen. Sie beherrschten die Schlagzeilen und machen den Wahlkampf zu einer Randerscheinung.

Und als ob das noch nicht genug wäre, steht die Landeswährung Peso unter enormem Abwertungsdruck. Hier erhielt Milei zuletzt Unterstützung von der US-Regierung: Sie kaufte argentinische Staatsanleihen und verkaufte Dollar, um den Peso, zu stützen. Am Montag wurde schließlich die Unterzeichnung eines Währungsswaps zwischen der argentinischen Zentralbank und dem US-Finanzministerium bekannt gegeben. Damit erhält Argentinien Zugang zu frischen 20 Milliarden US-Dollar.

»Argentinien kämpft ums Überleben. Verstehen Sie, was das bedeutet? Sie haben kein Geld, sie haben nichts, sie kämpfen hart.«

Donald Trump US-Präsident

»Argentinien kämpft ums Überleben. Nichts hilft ihnen. Verstehen Sie, was das bedeutet? Sie haben kein Geld, sie haben nichts, sie kämpfen hart ums Überleben, sie sterben«, sagte US-Präsident Donald Trump kurz zuvor. Milei am Tropf der US-Administration – kein schönes Wahlkampfmotiv.

Am Sonntag wird sich zeigen, wie sich dies alles auf das Wahlverhalten auswirkt. Mileis Vorteil ist der miserable und zersplitterte Zustand der Opposition. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen die »Siperistas«, ein Wortspiel aus »Si, pero« (Ja, aber). Damit sind die Wahlberechtigten gemeint, denen Milei letztlich seinen Triumph vor zwei Jahren verdankte, die aber angesichts der gegenwärtigen Lage nachdenklich geworden sind. Sie werden entscheiden, wer am Wahlabend die Nase vorn hat. Die Parlamentswahlen in der Provinz Buenos Aires Anfang September gaben einen Vorgeschmack darauf, als die große Mehrheit von ihnen zu Hause blieb und Mileis Parteibündnis eine schwere Niederlage erlitt. Das Ergebnis in der Provinz ist relevant, da ein Drittel der Wahlberechtigten hier lebt.

Doch selbst mit einem sehr guten Wahlergebnis wird Milei nicht mehr als etwa 70 Abgeordnete stellen. Das reicht nicht aus für das Drittel der Sitze, die erforderlich sind, um zu verhindern, dass seine Dekrete und Vetos vom Kongress gekippt werden. Ganz zu schweigen von den Mehrheiten, die er benötigt, um die angekündigten Reformen des Arbeits- und Steuerrechts sowie des Rentensystems durchzusetzen. Am Montag beginnt die Suche nach Koalitionspartnern.

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