Die Bahn erfand die Pünktlichkeit

Öffentliche Uhren gibt es in den meisten Orten noch immer - für manche sind sie ein Relikt

  • Lesedauer: 3 Min.
17 000 Bahnhofsuhren soll es in Deutschland geben, die Gesamtzahl öffentlicher Uhren ist noch größer. Für deren Betrieb auf Straßen und Plätzen ist oftmals jedoch gar nicht die Kommune zuständig.

Frankfurt am Main. Ob auf dem Kirchturm, am Bahnhof oder an der Straßenecke - öffentliche Uhren, nach denen man einst die Taschenuhr stellte, wirken wie ein Relikt aus vergangener Zeit. Und doch stehen sie wie eh und je in vielen Städten, sind Werbefläche, treue Wegmarken im Stadtbild oder Treffpunkt. Und manchmal ist ein Blick auf die große Uhr auch einfach praktischer, als das Smartphone aus der Tasche zu klauben.

Für den Betrieb und die Wartung der Uhren auf Straßen und Plätzen ist in vielen Fällen gar nicht die Stadt oder die Gemeinde zuständig, sondern Firmen, die an den Uhren Werbeflächen vermarkten. So unterhält einer der großen Anbieter auf dem Gebiet der Außenwerbung, die Kölner Firma Ströer, in Deutschland rund 3430 Uhren. Alle sind funkgesteuert und werden von Außendienstmitarbeitern gewartet.

Die Anzahl der Uhren habe sich seit Gründung des Unternehmens 1990 »nicht signifikant verändert«, sagt Sprecherin Andrea Breyther: »Großuhren sind auffällige Fixpunkte im Stadtbild, bieten hohe Frequenzen und hohe Kontaktchancen«. Sie urteilt: »Die öffentlichen Uhren in der Stadt sind trotz Smartphones eine verlässliche Orientierung für Passanten, Reisende und Berufspendler.«

Anders sieht es der weltweit größte Anbieter von Außenwerbung, die französische Firma JCDecaux, die in Deutschland mit der Wall AG arbeitet. »Aus Vermarktungssicht spielen die Uhren für uns eine untergeordnete Rolle, und auch im städtischen Kontext sinkt ihre Bedeutung angesichts der heute weit verbreiteten Smartphones«, sagt Frauke Bank, Pressesprecherin der Wall AG. Gleichwohl ist sich Bank bewusst, dass die Uhren für viele Bürger »einen hohen emotionalen Stellenwert« hätten. Sie seien »gelebter Teil des Stadtbildes«.

So ist in Berlin die Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz ein wichtiger Fixpunkt, der längst unter Denkmalschutz steht. Auch in Hannover stehen zehn von Adolf Falke 1926 gestaltete Uhren unter Denkmalschutz. Und im Düsseldorfer Volkspark wurde der Bahnhofsuhr gar ein Denkmal gesetzt: Am westlichen Eingang des Parkes sind 24 Bahnhofsuhren auf sechs Meter hohen Säulen auf.

Bahnhofsuhren sind nicht nur der öffentliche Uhr-Typ, der wohl am häufigsten in Deutschland anzutreffen ist - 17 000 sind laut Auskunft der Deutschen Bahn über die Republik verteilt. Sie ist auch Symbol für die Vereinheitlichung der Uhrzeit zur Mitteleuropäischen Zeit. Denn dafür hatte sich einst auch die Eisenbahn eingesetzt, um einen verlässlichen Fahrplan anbieten zu können. Am 1. April 1893 trat das »Reichsgesetz betreffend die Einführung einer einheitlichen Zeitbestimmung« in Kraft. Bis dahin hatten die verschiedenen deutschen Kleinstaaten ihre Zeit jeweils nach dem Sonnenstand bestimmt. So lag zum Beispiel zwischen dem badischen Villingen und dem zwei Kilometer entfernten, württembergischen Schwenningen ein Zeitunterschied von drei Minuten. Die deutlich an Bahnhöfen angebrachte, ehemals elektrisch betriebene, beleuchtete Uhr versinnbildlichte dann die neue Anforderung an eine einheitliche Uhrzeit - und an Pünktlichkeit.

Damit machte sie auch der über Jahrhunderte maßgeblichen mechanischen Kirchturmuhr Konkurrenz. »Die Kirchturmuhren verbreiteten sich im 14. Jahrhundert«, sagt der Uhrmachermeister Markus Burmeister vom Freundeskreis »Öffentliche Uhren e.V.«. »Sie waren nicht nur über Jahrhunderte die Taktgeber in einer Gemeinde, aus diesen großen Räderuhren hat sich auch die Uhrmacherei entwickelt.« Der Freundeskreis setzt sich dafür ein, der öffentlichen Uhr mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Besondere öffentliche Uhren sind im Deutschen Uhrenmuseum Furtwangen im Schwarzwald zu sehen. Dort ist auch zu erfahren, dass eine Umstellung der Winter- auf Sommerzeit bereits vor 100 Jahren einmal gab. Damals war die Normal-Zeit GmbH für die Umstellung zuständig. Seit 1978 legt die Physikalisch-Technische Anstalt in Braunschweig die genaue Uhrzeit fest - und verbreitet sie über den Langwellensender DCF77. epd/nd

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