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Grüne im Europaparlament: »Eindeutige Hinweise auf Genozid«

Politiker fordern Aussetzung des Handels- und Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel und ein Waffenembargo

Auch am Morgen des 2. Mai flog Israel wieder schwere Angriffe in Gaza: Ein Junge hilft bei der Suche nach Überlebenden in den Trümmern.
Auch am Morgen des 2. Mai flog Israel wieder schwere Angriffe in Gaza: Ein Junge hilft bei der Suche nach Überlebenden in den Trümmern.

Auf einer Konferenz zur Lage in Palästina haben mehrere Mitlieder der Fraktion »Die Grünen/Europäische Freie Allianz« im Europaparlament die Aussetzung des Handels- und Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel gefordert. Eine der Organisator*innen der Veranstaltung, die Abgeordnete Ana Miranda Paz vom Bloque Nacionalista Galego aus Spanien, nannte ein Waffenembargo gegen Israel »eines der zentralen Themen«, um einen Stopp des von Israel im Gaza verübten »Genozids« an den Palästinensern durchzusetzen.

Diesen sehen die Teilnehmer der Konferenz unter anderem durch den Einsatz von Hunger als Waffe durch Israel als gegeben an. Mittlerweile ist die Bevölkerung in Gaza seit zwei Monaten von jeglichen Hilfslieferungen abgeschnitten, weil Israel diese nicht zulässt.

Miranda berichtete am Dienstagnachmittag vor Journalisten zum Abschluss der zweitägigen Konferenz, zu der zahlreiche Expert*innen von NGOs und Internationalen Organisationen, Jurist*innen und Journalist*innen eingeladen worden seien, um aus ihrer Sicht die Frage zu beantworten, »ob die Situation in Gaza als Genozid bezeichnet werden kann«. An der Organisation der Tagung waren nach Angaben von Miranda maßgeblich Abgeordnete aus Frankreich, Italien sowie den spanischen Regionen Katalonien und Galizien beteiligt. Teil der Fraktion sind auch die deutschen und österreichischen Abgeordneten der Grünen sowie die liberale Partei Volt. Doch von ihnen nahm niemand teil.

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Neben Miranda standen am Podium die Abgeordneten Jaume Asens Llordà aus Spanien, Benedetta Scuderi aus Italien und Mounir Satouri aus Frankreich. Auf die Lage der palästinensischen Bevölkerung aufmerksam zu machen und das israelische Vorgehen in Gaza wie im Westjordanland klar zu verurteilen, sei ein »Gebot der Humanität«, betonte Miranda.

Doch dabei stößt sie auf Widerstand auch in ihrer eigenen Fraktion: Weder auf der Homepage noch in den sozialen Medien der Grüne/EFA-Fraktion wird die Konferenz am Montag und Dienstag erwähnt. Mit ihr habe man ein Zeichen für die Verteidigung der Menschenrechte und gegen Vertreibung und erzwungenen Hunger in Gaza setzen wollen, meinte Miranda. Für sie sei klar: »Gaza ist der Friedhof des internationalen Rechts.«

Die italienische Abgeordnete Benedetta Scuderi betonte, Zweck der Konferenz sei es vorrangig gewesen, die juristischen Bewertungen und Grundlagen herauszuarbeiten, die »eindeutig und unzweifelhaft belegen, dass es sich um einen Genozid handelt«. Expert*innen aus den Feldern Recht, Geografie, Politik, Medizin, aber auch Überlebende und Aktivist*innen hätten auf der Konferenz gesprochen: »Alle diese Perspektiven zusammengenommen lassen keinen anderen Schluss zu: Es ist ein Genozid«, so Scuderi. Sie habe bewusst das Europäische Parlament als Tagungsort gewählt: »Dadurch kann niemand in diesem Haus in Zukunft mehr sagen, er oder sie habe es nicht gewusst. Es gibt keine Ausreden mehr.«

In Deutschland herrscht bis heute in Unionsparteien, in der SPD und bei den Grünen weitgehendes Schweigen zu den israelischen Kriegsverbrechen in Gaza. Daher sorgte es für Schlagzeilen, als sich am Montag drei Bundestagsabgeordnete von SPD, Grünen und Linke gemeinsam zum Thema zu Wort meldeten.

In einem auf dem Onlineportal »Etos Media« veröffentlichten offenen Brief forderten Isabel Cademartori (SPD), Nicole Gohlke (Linke) und Kassem Taher Saleh (Grüne) einen Stopp deutscher Waffenlieferungen nach Israel und eine Anerkennung Palästinas als Staat. Es handelt sich dabei um die erste rot-rot-grüne Initiative auf Bundesebene seit Langem.

Besonders für Cademartori dürfte die Initiative einigen Mut erfordert haben, denn ihr Bundeskanzler Olaf Scholz hat stets betont, dass Deutschland Waffen an Israel liefere und dies auch weiter tun werde. Den offenen Brief haben auch der deutsch-palästinensische Hochschuldozent Jules El-Khatib und Nimrod Flaschenberg von der Gruppe Israelis für Frieden unterzeichnet.

Der designierte Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) sieht in einem Stopp von Waffenlieferungen einen Verstoß gegen die deutsche »Staatsräson«, die aus seiner Sicht eine bedingungslose Unterstützung Israels bedeutet. Unionsabgeordnete vertreten zudem die Position, Israel bei Waffenexporten mit einem Nato-Partner gleichzustellen und so die Lieferungen deutlich zu vereinfachen.

In dem Brief heißt es unter anderem, Deutschland und die EU stünden vor einer entscheidenden Frage: »Wollen sie weiterhin lediglich Appelle für einen Waffenstillstand formulieren oder ihre Verpflichtung gegenüber dem Völkerrecht mit Taten untermauern?« Ein »sofortiges Ende der militärischen und politischen Unterstützung« für die Regierung von Benjamin Netanjahu sei »dringend geboten«. Die Bundesrepublik und die EU müssten eine aktive Rolle bei Verhandlungen für einen neuen Waffenstillstand und die Freilassung der verbliebenen israelischen Geiseln einnehmen. Letztere hätten im Zuge des von Israel gebrochenen Waffenstillstands schon in Freiheit sein können.

Der künftige Staatssekretär im Auswärtigen Amt Florian Hahn (CSU) reagierte mit einem Post auf der Plattform X auf den offenen Brief. Anders als von Cademartori in einer »unheilvollen Allianz« gefordert, werde man das Völkerrecht »mit scharfer Verurteilung der Angriffe« auf israelische Bürger am 7. Oktober 2023 und »der fortgesetzten Unterstützung Israels und schließlich dem Einsatz für die Freilassung der Geiseln« achten.

Fünf Linke-Bundestagsabgeordnete übten derweil in einem am Mittwoch veröffentlichten Gastbeitrag für die »Frankfurter Rundschau« auch scharfe Kritik an der Berichterstattung in Deutschland über die israelische Kriegführung in Gaza. Die deutsche Geschichte werde »als Argument für die bedingungslose Unterstützung Israels herangezogen«, schreiben Nicole Gohlke, Cem Ince, Cansin Koktürk, Lea Reisner und Janine Wissler in dem Kommentar. Während israelische Medien wie »Haaretz« oder der britische »Guardian« ungeschönt berichteten, unterstützten deutsche Medien und die Politik »eine Regierung, in der sich selbsternannte Faschisten befinden, die einen Krieg führt, den namhafte israelische und internationale Wissenschaftler als Genozid bezeichnen, und die das Völkerrecht ignoriert«.

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