Ey, Melle

Dieser Tatort gibt Indizien aus wie eine Angestelltenkantine Mittagessen. Matthias Dell über »Fünf Minuten Himmel«

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit einiger Zeit will kein »Tatort« mehr ein »Tatort« sein, sondern was Besonderes. Weshalb jetzt zu Ostern, wenn der Ausstrahlungstermin feiertagsbedingt auf den Montag fällt, eine sogenannte Event-Folge programmiert wird – eine einmalige Angelegenheit, vielleicht ein Testballon. Für die Attraktivität der Unternehmung ist Heike Makatsch verpflichtet worden, ein Gesicht, das die Ahnengalerie der »Tatort«-Kommissarinnen originell ergänzt, eine Schauspielerin, die sich treffen lässt für Portraits und Interviews.

Denn genau das meint Event-»Tatort«: Die Routine macht wieder von sich reden, es gibt einen Anlass, übers Ganze nachzudenken, die Integration von Makatschs spezifischem Reiz in das deutsche Fernsehhochamt weckt Neugier. Dabei schauen die Leute doch eh. Wer es nicht freundlich meint mit den Versuchen des »Tatort«, Schauplatz aller möglichen Ideen von Fernsehfilm zu sein und eben nicht nur sturer Krimi, der wird in der Einmaligkeit von so was wie »Fünf Minuten Himmel« (SWR-Redaktion: Michael Schmidl, Degeto-Redaktion: Birgit Titze) nur die Suche nach dem schnellen Kick erkennen – das, was die Jugend ohne Pot sich in der Folge durch Würgespiele in die zeitweise Bewusstlosigkeit verschafft.

Damit wäre ein, dann doch »Tatort«-typisches, Accessoire der Geschichte (Drehbuch: Thomas Wendrich) benannt: der sozialpädagogische Realitätspartikel, ein Trendsport in deutschen Jugendzimmern, über den die sogenannten Faktenchecks der Online-Medien am Tag nach der Ausstrahlung Auskunft geben können. »Pass out Challenges« – gibt es das wirklich, ist das gefährlich, wo krieg ich das her?

Der »Tatort« fährt seine Entdeckung eher untertourig, die Würgespiele stehen am Rand, nicht im Zentrum der Folge. Es wird damit ein wenig gekokelt (dass doch noch ein Kind stirbt – wobei da doch der Jugendschutz vor wäre), aber nichts in Brand gesetzt, weil der Mord eben woanders geschehen ist. Was dazu führt, dass das unmotivierte Gewürge komische Seiten entfaltet: »Fancy« Harriett (Anna-Lena Klenke) begleitet die auf den Geschmack gekommene Ruth (Jochanah Mahnke) gegen Ende des Films in der Steigerungslogik von Sucht mal eben durch drei Phasen des Luftabschnürens, was doch immer nur einen in sich zusammen sackenden Mädchenkörper produziert.

Zumal Regisseurin Katrin Gebbe für die Inszenierung der beiden Mädchen nicht viel einfällt; sie wirken wie hingestellt in die pittoreske Leere einer sogenannten alten Fabrik. Das passt dann ganz gut zum Text, denn der wirkt wie aufgesagt. Binnen Sekunden wechseln die Launen: Von »Lass mich« über »Du wolltest doch« bis zu »Hey, Ruth« ist es immer nur eine Dialogzeile; rein in die Kartoffeln, raus in die Kartoffeln, daraus muss man sich erst mal eine Psychologie schnitzen. Oder eine Handlungslogik: Über die dauernden Würgespiele vergisst Harriett nämlich, dass sie »Melle« Melinda (Rosmarie Röse) eine Lektion erteilen wollte, weil die ihr Freund Titus ausgespannt hatte.

Das andere, dann doch »Tatort«-typische, Accessoire der Geschichte ist der gesellschaftliche Diskurs. Ein Jobcenter-Mitarbeiter ist tot, und die Spur führt in ein von Entmietung und Sanierung bedrohtes Haus. So wie sich alle anstellen, muss man Ähnlichkeiten mit dem richtigen Leben nicht befürchten. Die armen Bewohner sind auf ein, nun ja, poetische Weise entrückt (der zauberlehrlingshafte Professor-Nachbar setzt walle-walle-mäßig auch den ganzen Laden unter Wasser), die Milieus ununterscheidbar schick (dass die Beziehung von Jobcenter-Bittstellerin-Tochter Melle und Jobcenter-Mitarbeiter-Sohn Titus mit einem Montague-Capulet-Antagonismus aufgeladen wäre, lässt sich nicht behaupten; und erst recht nicht, dass es irgendeine Ahnung für die Monstrosität gäbe, dass Melle den Vater ihres Lovers getötet hat, wie sich am langen Ende rausstellt), den fiesen Investor könnte man auch mit dem nicht so kommoden Vorgesetzten verwechseln.

Denn es sagen doch alle nur Informationen auf. »Fünf Minuten Himmel« gibt Indizien aus wie eine Angestelltenkantine Mittagessen zur Hochzeit: Immer weiß jemand was Neues, kommt damit zur Kommissarin Berlinger (Makatsch), damit die zu jemanden fahren kann, um dem wiederum Informationen auf den Kopf zuzusagen. Makatsch ist mit Textsprechen beschäftigt, außerdem soll Ellen Berlinger sozialruppig sein, was schon deshalb langweilig ist, weil jede neue Ermittlerin im »Tatort« damit auf sich aufmerksam machen will, dass sie schlechte Laune hat. Und dann hat Berlinger auch noch private Probleme mit der Tochter, die sie nicht kennt und einer Mutter (die große Angela Winkler), die ihr was krummt nimmt. Was ja gerade kein Stoff ist, der sich einmalig abhandeln lässt.

So besteht die Innovation von »Fünf Minuten Himmel« in den Joschka-Fischer-Momenten von Berlingers Makatsch-Style: Die Kommissarin führt den lässigen Berlin-Mitte-Schick mit weißen Turnschuhen in Freiburg spazieren. Ansonsten landet der Tatort, der kein Tatort sein will, im Sumpf der Konfektion. Eigentlich eine hübsche Pointe.

Eine Auskunft, mit der man auf Stehpartys reüssieren kann:
»Das ist hier öfter so.«

Eine Frage, die sich in der Buchbranche stellt:
»Wie gut kennen Sie Herrn Fest?«

Ein Problem, das häufiger aufgeworfen werden sollte:
»Warum bist Du hier?«

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