Gefühlte Zunahme von Gewalt

Konferenz in Berlin beschäftigte sich mit Angriffen auf Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 4 Min.
Auf einer Konferenz im Bundesinnenministerium wurde am Dienstag deutlich, dass es kaum statistische Belege für die angebliche Zunahme von Gewalt gegen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes gibt.

Wenn der Bundesinnenminister zu einer Konferenz ins eigene Hause lädt, dann muss das Thema dringlich sein. Unter dem Motto »Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst« diskutierten vor allem Vertreter der Betroffenengruppen, also Bundespolizisten, Jobcentermitarbeiter oder Lehrer. Zwar betonten viele der Beteiligten am Dienstag, dass die Angriffe zugenommen hätten, allerdings konnten sie kaum belastbare Zahlen liefern.

Bernhard Schneider, Geschäftsführer der Unfallversicherung Bund und Bahn, unterstrich: »ob Gewalt im Bund ein zunehmendes Problem darstellt, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.« Wo es Statistiken gibt, da konstatieren diese eher einen Rückgang der Fallzahlen, wie der Präsident der Bundesbereitschaftspolizei, Friedrich Eichele, einräumen musste. So seien die Angriffe auf Bundesbeamte in den Jahren 2014 und 2015 um rund 11 Prozent zurückgegangen. Eichele verwies aber darauf, dass dieser Rückgang eine Folge der neuen Grenzsicherungsmaßnahmen im Zuge der Flüchtlingskrise sei, wo Bundespolizisten aus dem gesamten Bundesgebiet aushelfen müssten. »Ist man nicht präsent, kann man auch nicht angegriffen werden«, so Eichele.

Auch sein Dienstherr, Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), unterstrich, dass »die Zahl der Gewalttaten sinkt«. Im gleichen Atemzug behauptete der Minister aber, dass die »Intensität der Gewalttäter« zunehme. Wer sich an die heute noch eindringlichen Bilder der »Schlachten« um die Startbahn West oder Brokdorf erinnert, dem mag in den Sinn kommen, dass Gewalt auf politischen Demonstrationen kein neues Phänomen ist. Schon der spätere Außenminister Joschka Fischer machte in den 70ern als Mitglied der linksradikalen »Putztruppe« Jagd auf Polizisten. Damals zog die selbst ernannte Avantgarde der Bewegung noch mit Helm und Knüppel in die Schlacht. Heute in Deutschland weitgehend undenkbar.

So brandaktuell kann der Trend zur Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst nicht sein. Auch der Minister konzedierte, dass die Verabredung zur Konferenz mit den französischen Kollegen, die am Dienstag ebenfalls anwesend waren, bereits vor zwei Jahren getroffen worden sei.

Dem Innenminister und seiner CDU scheint es vor allem darum zu gehen, entsprechende Paragrafen zu verschärfen (siehe Beitrag unten). »Härtere Strafen helfen. Wir reden in der Innenministerkonferenz darüber«, sagte de Maizière im »ARD-Morgenmagazin«. Doch offenbar sehen selbst die Betroffenen keinen akuten Handlungsbedarf. Bundespolizist Eichele meinte mit Blick auf die Ahndung entsprechender Straftaten: »Wir sind mit den Urteilen sehr zufrieden.« Es sei nur sehr aufwendig, das Beweismaterial zu sichern.

Was ist also dran an der behaupteten Zunahme von Gewalt gegen Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes? Laut Deutscher Unfallversicherung (DGUV) liegt die Quote meldepflichtiger Arbeitsunfälle, die »auf Einwirkung von Gewalt oder Drohung zurückzuführen sind«, für Angestellte oder Beamte im öffentlichen Dienst bei 3,2 Prozent und damit über dem Durchschnitt aller Beschäftigten, bei denen eine Quote von 1,9 Prozent ermittelt wurde. Rund 2800 Angriffe auf Amtsträger wurden 2015 erfasst. Dazu zählten tätliche Attacken, aber auch Beleidigungen und verbale Drohungen. Bedenkt man, dass in Deutschland rund 4,6 Millionen Menschen im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, erscheint die Zahl von 2800 verbalen und tätlichen Angriffen nicht exorbitant hoch. Dem Bundesinnenminister geht es denn auch um mehr: Respekt, Höflichkeit, Freundlichkeit und Achtsamkeit im Umgang miteinander. Es dürften nicht jene kritisiert werden, »die für uns alle ihren Dienst tun«, so de Maizière und forderte mehr Respekt. »Das ist nicht altmodisch.«

Nur, wer seinen Angestellten Respekt zollen will, sollte sie gut bezahlen und vernünftig ausstatten. Doch eben da hapert es ganz gewaltig. Wie aus den Thesenpapieren der Berufsverbände hervorgeht, die diese im Vorfeld der Konferenz erstellt hatten.

Der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, Udo Beckmann, schrieb etwa: »Fehlende oder zu geringe Ressourcen für Schulen (...) erhöhen die Druck auf alle Beteiligten - Lehrkräfte, Schüler, Eltern - und können zu verstärkter Gewalt führen«.

Auch Vertreter der Jobcenter-Mitarbeiter, an denen sich der Frust der Arbeitslosen entlädt, sehen eine Mitschuld der Politik: »Kleinteilige Gesetzgebung, unnötig hoher Bürokratieaufwand und unverständliche Regelungen (...) führen zu einer Konfrontationshaltung der Antragsteller gegenüber den Kolleginnen und Kollegen«. Auch die hohe Arbeitsbelastung und Fluktuation würden die Situation weiter verschärfen, heißt es in dem Papier von Uwe Mayer, der das Jobcenter im fränkischen Hof leitet.

Während der Innenminister alle Polizisten mit Körperkameras, sogenannten Bodycams, ausstatten will, drängen seine Angestellten und Beamten auf finanzielle Hilfen im Ernstfall durch ihren Arbeitgeber. So begrüßte der Vorsitzende des Beamtenbundes, Klaus Dauderstädt, die Pläne der Bundesregierung, wonach die öffentliche Hand zukünftig einspringen will, wenn der zu einer Schmerzensgeldzahlung an die durch ihn Verletzten oder Beleidigten verurteilte Täter nicht liquide ist. In einigen Bundesländern gebe es derartige Regelungen bereits, betonte Dauderstädt, allerdings mit einer Bagatellgrenze von 500 Euro. Viele Betroffene würden deshalb von einer Anzeige absehen, weil sie »außer Papierkram keine Folgen« hätte.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal