Der Trip
Im Kino: »The forbidden Room« von Guy Maddin
Bereits der Vorspann ist ein Meisterwerk der Montagekunst, ein Feuerwerk der Stile und Typographien. Dazu rauscht und knistert eine herrlich analoge Tonspur wie aus dem letzten Jahrhundert, wechselt die Farbgebung zwischen übersattem Technicolor und edlem Schwarz-Weiß. »The forbidden Room« von Guy Maddin ist ein wilder cineastischer Trip, ein entfesselter experimenteller Essay, der in fast jeder Szene prächtig aussieht, aber auf alle Regeln verzichtet - auch auf eine fortschreitende Handlung.
Nach dem erwähnten collagierten Einstieg erhält der Zuschauer zunächst eine Einführung in die Kunst, ein Bad zuzubereiten. Völlig unvermittelt findet er sich anschließend in einem beschädigten U-Boot, das nicht mehr auftauchen kann - da es sonst explodieren würde. Die ohnehin verängstigte Besatzung staunt nicht schlecht, als plötzlich (auf dem Meeresgrund) ein neuer Passagier zusteigt: ein Holzfäller, der nicht weiß, wie ihm geschieht, und der sich in rätselhaften philosophischen Monologen ergeht. Ab diesem Moment verzichtet der kanadische Experimentalfilmer Maddin noch auf die letzten verbliebenen Reste von Erzählstruktur und gibt sich einem surrealen Anekdoten- und Bilderstrom hin, der absolut fasziniert - aber auch ziemlich anstrengt.
Guy Maddin, bereits mehrfacher Gast der Berlinale, ist fasziniert von den frühen Techniken des Films. Dutzende Verfahren aus der Stummfilmzeit und folgenden Epochen werden zu einer ästhetisch sensationellen Mischung verrührt. Fast schon besessen scheint er von der Phase des Übergangs vom Stumm- zum Tonfilm in den 20er Jahren zu sein, in der oft neben einer Tonspur auch noch einzelne Texttafeln eingeblendet wurden. Maddin erinnert in seinem Vorgehen an Hip-Hop-DJs, die unter die modernen kalten Beats ein warmes Vinylrauschen mischen, oder den Soul der 70er Jahre samplen und ihn mit aktuellen Sounds und Techniken kontrastieren. Der Unterschied: Maddin bedient sich dafür nicht wie die DJs in der vorhandenen Musik- bzw. Filmhistorie, sondern stellt jene »Samples« selber her, und trimmt sie anschließend mit großer Meisterschaft auf »alt«.
Ganz am Anfang steht ein Bibelzitat aus dem Johannes-Evangelium: »Als die Menge satt war, sagte er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrig gebliebenen Brotstücke, damit nichts verdirbt.« Sammelt hier Maddin die verkannten Fragmente und Meilensteine der Filmkunst, »damit nichts verdirbt« - angesichts einer Dominanz computergenerierter Fantasieschlachten? Wie auch immer: Sakral geht es in der exzentrisch-bizarren Bildfolge ganz und gar nicht zu. Hier agieren Mitglieder des europäischen Arthaus-Adels wie Charlotte Rampling, Udo Kier, Geraldine Chaplin, Mathieu Amalric, Jean-François Stevenin, Maria de Medeiros und Elina Lowensohn gestenreich wie expressive deutsche Stummfilmstars - auch dann, wenn sie Dialoge sprechen. Dabei tragen sie tolle Kostüme und bewegen sich in den opulenten Kulissen von Galen Johnson.
All die technische Perfektion und künstlerische Wildheit schützt den Zuschauer jedoch nicht vor einer gewissen Ermüdung: In Abwesenheit einer zusammenhängenden Geschichte fällt es schwer, sich immer wieder für Maddins geniale, irgendwann aber repetitive Spielereien zu begeistern.
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