Katalonien im Währenddessen

Regionalpräsident Puigdemont verhandelt wieder mit Madrid über Unabhängigkeit

  • Julia Macher, Barcelona
  • Lesedauer: 3 Min.
Während der spanische König den letzten Versuch unternimmt, doch noch eine Regierung in Madrid zu finden, arbeiten die Unabhängigkeitsbefürworter in Katalonien in Ruhe an ihrer Loslösung.

»Wer glaubt, wir seien verschwunden, nur weil man nichts von uns hört, der wird noch eine Überraschung überleben«, antwortet der katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont, wenn er nach der erstaunlichen Normalität im sezessionswilligen Nordosten Spaniens gefragt wird. Tatsächlich ist im Parlament Kataloniens nach der »Erklärung über den Beginn des Prozesses zur Bildung eines eigenen Staates« im November wenig passiert. Das liegt zum einen daran, dass knapp 48 Prozent Unabhängigkeitsbefürworter für großartige Gesten zu wenig sind, zum anderen daran, dass die heterogene Bewegung über drei Monate gebraucht hat, um einen konsensfähigen Präsidenten zu finden. Puigdemont wurde von Artur Mas als Amtsnachfolger nominiert, weil ihm selbst der Rückhalt der basisdemokratischen Linkspartei CUP fehlte.

Der »unerwartete Kandidat« - so Puigdemont über sich selbst - gehört zum sozialdemokratischen Flügel der Convergència, hat als ehemaliger Bürgermeister von Girona wenig Berührungspunkte mit den korruptionsverdächtigen Machtzirkeln in Barcelona. Und er muss als Unabhängigkeitsbefürworter der ersten Stunde seinen Sezessionswillen nicht ständig beweisen, im Gegensatz zum neo-sezessionistischen Vorgänger Mas. »Ich habe schon immer von einem eigenen katalanischen Staat geträumt«, sagt Puigdemont. »Dennoch wollte ich zunächst Spanien zu einem plurinationalen Staat machen, doch der Staat ist nicht wandlungsfähig - und wird es nie sein.«

Den Einwand, dass mit den Linksparteien Vereinigte Linke (IU), Podemos und ihrer katalanischen Schwesterpartei erstmals auch auf gesamtstaatlicher Ebene ein verbindliches Unabhängigkeitsreferendum diskutiert wird, lässt der Ministerpräsident nicht gelten. »Ich sehe keine Konstellation, in der Podemos sein Programm durchsetzen könnte«, so Puigdemont. Tatsächlich stehen Spanien wohl im Juni Neuwahlen bevor, bei denen sich die Linken erneut beweisen müssen.

Dabei sei Spaniens Gesellschaft reifer als seine politische Klasse. Was fehle, seien Politiker mit dem Mut, Tabus zu brechen. »Das Ansehen Spaniens in der Welt würde sich enorm verbessern, wenn Madrid den Weg für eine schottische Lösung frei machen würde«, appelliert Puigdemont.

Tatsächlich wäre ein verbindliches Referendum der vernünftigste Weg - für beide Seiten. Eine einseitige Unabhängigkeitserklärung sieht selbst der Fahrplan der katalanischen Regierung nicht vor. Stattdessen sollen die nächsten Wahlen zu verfassungsgebenden erklärt werden, das neue Parlament dann eine Konstitution ausarbeiten, die per Referendum angenommen wird. »Meine Aufgabe ist es, dem Parlament die Schlüssel für einen eigenen Staat zu übergeben und es zu den verfassungsgebenden Neuwahlen zu führen«, sagt Puigdemont. Die für einen Bruch mit Spanien notwendigen vorstaatlichen Gesetze über Steuer-, Sozialversicherungswesen und Übergangsprozedere hat der Ministerpräsident auf das Ende der Legislatur verlegt.

Die Strategie ähnelt der seines Vorgängers Artur Mas, der die Regionalwahlen im September kurzerhand zum Plebiszit erklärte. Sie soll einen sanften Übergang »von einer Legalität zur nächsten« suggerieren - und erhöht vor allem den Druck auf Madrid, doch noch zu verhandeln: um ein Referendum oder möglicherweise auch andere substanzielle Zugeständnisse bei Selbstverwaltung, Steuerhoheit und Anerkennung als Nation. Immerhin sprechen Madrid und Barcelona wieder miteinander: In der vergangenen Woche verhandelte Puigdemont mit dem amtierenden spanischen Premier Mariano Rajoy um 46 Punkte, darunter auch Zinssenkungen für die Hilfszahlungen aus dem nationalen Autonomen Liquiditätsfonds (FLA). Für Puigdemont ist es kein Widerspruch, gleichzeitig neue Finanzierungsinstrumente zu fordern und eine Sezession anzukündigen: »Ein Instrument ist für die Zukunft, das andere für Vergangenheit und Gegenwart.« Derzeit befinde man sich im Währenddessen. Wie lange diese Zeitspanne dauern werde? Der Ministerpräsident zuckt mit den Schultern.

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