NATO auf dem Sprung

Der frühere Botschafter der DDR, u.a. in Italien, vertrat sein Land von 1986 bis 1990 bei der KSZE.

Wenn es nach Politikern und Militärs der USA geht, wird sich der NATO-Gipfel am 28. und 29. November in der lettischen Hauptstadt Riga vorrangig mit der künftigen Strategie des Paktes in Afghanistan befassen. Beschwörend hört man aus Washington, es stünden Entscheidungen über den solidarischen Einsatz der Streitkräfte aller Mitgliedstaaten in ganz Afghanistan an. Räumliche Beschränkungen für einzelne dürfe es nicht länger geben. Angesichts des Debakels, das die USA in Afghanistan erleben, verwundern solche Forderungen nicht. Dabei steht außer Frage, dass sich die NATO selbst in eine Situation der Erpressbarkeit gebracht hat. Erst kürzlich übernahm sie das Kommando für das Vorgehen aller ihrer Mitgliedstaaten in Afghanistan. Das geschah unter Verletzung des UN-Mandats für die Streitkräfte einiger Staaten, wie der Bundesrepublik, in Kabul. Schutzfunktionen sollten diese Verbände wahrnehmen, nicht aber als offensiv kämpfende Truppe agieren. Diese Beschränkung wurde aufgegeben, indem sich die ISAF-Verbände der Koalition von Willigen (enduring freedom) anschlossen und umgehend in Kampfhandlungen der US-Army einbezogen wurden. Und das ist genau der Punkt, der zu Diskrepanzen in der NATO führt. Doch haben einige Regierungen - auch die Bundesregierung - wohl begriffen, dass sie Gefahr laufen, in den Strudel eines mörderischen Krieges hineingezogen zu werden. Dazu hat sie im eigenen Land niemand ermächtigt. Wie das Ergebnis der Auseinandersetzung auch sein wird, es wird Aufschluss darüber geben, ob die Pläne der NATO-Obersten eine Zukunft haben, die NATO als weltweite Ordnungsmacht zu installieren. Gedacht ist an Einsätze im Norden Iraks, in Libanon oder in Dafur. Darüber hinaus werden Überlegungen angestellt, Staaten Nordeuropas oder des Fernen Ostens stärker in NATO-Aktivitäten einzubinden. Von Finnland und Schweden ist ebenso die Rede wie von Australien, Japan oder Südkorea. Schließlich wird sogar erwogen, der NATO eine Gesamtverantwortung für die internationale Sicherheit zu übertragen, die heute die Vereinten Nationen wahrnehmen. Zumindestens steht im Raum, dass die NATO nicht länger dem Gewaltmonopol der Charta der Vereinten Nationen unterworfen sein soll. Schöne Aussichten! Im Zuge globaler Ambitionen hat die NATO schon vor Jahren damit begonnen, so genannte schnelle Eingreiftruppen für den Einsatz in Krisenregionen aufzustellen. Allerdings geht die Formierung dieser Verbände schleppend voran. Die Mitgliedstaaten zögern, Teile ihrer nationalen Streitkräfte einer internationalen Befehlsgewalt zu unterstellen. Auch gibt es immer wieder Vorbehalte gegen die Art und Weise ihrer Finanzierung. Sicherlich werden in Riga erneut nachhaltige Forderungen an die Mitglieder gestellt werden, ihre Verpflichtungen einzuhalten. Nur beiläufig sei erwähnt, dass in Riga auch ein Resümee der Diskussion über eine Reform des Paktes angesagt war. Alleingänge der USA hatten scharfe Kritik zur Folge, so dass der NATO-Generalsekretär im Frühjahr 2005 den Auftrag erhielt, Vorschläge vorzulegen, »um die Rolle der NATO als Forum für strategische und politische Konflikte und die Koordinierung zu stärken«. Doch stehen Ergebnisse solcher Überprüfungen noch aus. So dürfte die Bestimmung der Schwerpunkte im Wirken der NATO erfolgen, ohne dass sich am anmaßenden Herangehen der Bush-Regierung etwas geändert hat. Vor dem Treffen in Riga hörte man aus Kreisen der Bundesregierung, dass sie dem Drängen der USA nicht nachgeben werde, Verbände der Bundeswehr in den heftig umkämpften Süden Afghanistans zu entsenden. Ob sie bei dieser Meinung bleibt, wird sich zeigen. Immerhin gehört die Bundesrepublik zu jenen NATO-Staaten, die den...

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