Kriege und andere Sauereien

PJ Harvey singt nicht mehr über Blut und Geschlechtsverkehr, sondern über die Folgen des Kapitalismus

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein altes Problem der musikalischen Erzeugnisse vieler sich als politisch fortschrittlich verstehender Singer/Songwriter/innen bzw. Protestsänger/innen ist, dass sie wahlweise belehrend daherkommen oder ihnen ein Heilsversprechen innewohnt. Ganz so, als sei ein Lied vor allem Traktat oder eine Predigt, die die Versammelten zum Mitsingen, Mitklatschen und zur Totalidentifikation animieren soll.

Um den eine künftige »soziale Gerechtigkeit« oder wenigstens eine Linderung seines Alltagsleidens herbeisehnenden und -hoffenden Hörer nicht zu entmutigen, darf die ihn umgebende bittere Realität vom Künstler nicht in zu düsteren Farben gemalt werden. Die Gesten, die zur Selbstermächtigung des geschundenen Kollektivs ermutigen sollen, die entschlossen geballte Faust, die ausgestreckte Hand usw., all das soll vom Rezipienten mindestens noch zu erahnen sein.

Das Ergebnis ist nicht selten eine Musik, die von der elenden Wirklichkeit zu abstrahieren sucht und stattdessen ihren Fokus auf die mögliche Zukunft und die an diese geknüpften Erwartungen richtet: Bald wird eure Mühsal enden und ein neuer, besserer Tag bricht an. Eine erbauliche Musik, die sich bestens eignet, die eigene und die Seelen des trostbedürftigen Publikums zu wärmen.

Die britische Musikerin und Songwriterin Polly Jean Harvey hat auf ihrem neuen, ihrem neunten Album, einen anderen Weg gewählt. Die ausschnitthafte Abbildung einer wenig erbaulichen Realität schien ihr eine drängendere Aufgabe als Erbauung und Seelenstreicheln. Weswegen sie uns Momentaufnahmen von zum Scheitern verurteilter Leben, von namenlosen entwürdigten oder versehrten Menschen zeigt. Von einem Kind beispielsweise, dem außer Betteln nichts bleibt, um das eigene Überleben zu sichern: »A boy stares through the glass / He’s saying, Dollar, dollar / Three lines of traffic pass / We’re trapped inside our car / His voice says, Dollar, dollar.«

Sie erzählt von Armut, von trostverlassenen Orten, von Hinterlassenschaften der fortwährend geführten Kriege, entvölkerten Gegenden, Überbleibseln der fortschreitenden Ausplünderung der Welt: »At a junction, on the ground / An amputee and a pregnant hound / Sit by young men with withered arms / As if death had already passed.«

Es sind Bilder des permanenten Verfalls und Niedergangs, der Verheerungen, die der ganz normale, alltägliche Kapitalismus in der Welt anrichtet. Auf dem Foto, das das Innencover des Albums ziert, sieht man Harvey zusammengekauert inmitten einer verödeten graubraunen Landschaft sitzen, in der großzügig verrostete Autowrackteile verteilt sind: ein Schrottskulpturenpark des Kapitalismus, der bereits das Leben nach der Apokalypse antizipiert.

Was die Musik angeht, dominiert meist ein inbrünstiges, zorniges Bluesgestampfe, in dem auch Hippie- und Gospelgesänge und freundlich rumpumpelndes Folk-Geschrammel harmonisch zusammenwachsen. Handclaps, Topfschlagen und dumpfes, hypnotisches Hintergrundgetrommel geben dem Album zeitweilig etwas Rastloses und Rappeliges. Lieber zu viel als zu wenig, wird man sich wohl im Studio gesagt haben. Also: noch mehr Chorgesang, noch mehr Hintergrundgerappel und -gedengel. Und fast überall passt noch fett Saxofon rein! Ach ja, und bevor wir’s vergessen: Wir haben auch noch Field Recordings von Straßenlärm und Kindergeschrei da!

Am präsentesten aber ist wie immer Harveys mal schrill quiekende, mal leise die Worte zerkauende Stimme.

»The Hope Six Demolition Project«, so der Titel des Albums, wird von vielen als eine Art Fortsetzung von Harveys Anti-Heimat-Platte »Let England Shake« aus dem Jahr 2011 verstanden, auf dem ein Blick auf die britische Geschichte geworfen wurde, die PJ Harvey zufolge eine einzige Ansammlung von Kriegen und anderen Sauereien darstellt. Der britische Premierminister David Cameron zeigte sich seinerzeit wenig begeistert von dem Werk.

Diesmal geht es jedoch nicht um England. Zur Vorbereitung des neuen Albums reiste Harvey, gemeinsam mit dem Kriegsfotografen Seamus Murphy, vier Wochen lang durch den Kosovo, Afghanistan und die USA. Was sie und ihr Begleiter in den diversen Verfalls- und Armutsregionen gesehen (und hinterher zu Songs verarbeitet) haben, zeigt, dass von dem, was immer vollmundig »unsere Zivilisation« genannt wird, nicht mehr viel übrig ist außer ein paar über den Globus verstreute und militärisch gesicherte Wohlstandsinseln.

Da konnte seitens der Medien der Vorwurf des »musikalischen Elendstourismus« nicht ausbleiben. Harvey, so hieß es etwa prompt, beute zu künstlerischen Zwecken das Leben anderer aus. Christoph Reimann etwa bemängelte auf Deutschlandradio Kultur, dass die Musikerin als reisende Beobachterin unterwegs gewesen sei: »Harvey ließ sich durch das Problemviertel fahren und schrieb sich kleine Notizen in ihr Heft.« Mein Gott, so möchte man fragen, welche üblen Verbrechen hat die Frau denn noch begangen? Was hätte sie denn tun sollen? Aus dem Fahrzeug steigen und den dort wohnenden Menschen Trost spenden? Geldbündel verteilen?

Der Titel von PJ Harveys neuem Album bezieht sich im übrigen auf »Hope VI«, ein 1992 begonnenes Bau- bzw. Stadtentwicklungsprojekt der US-Regierung, welches sich zum Ziel gesetzt hatte, heruntergekommene und baufällige Sozialwohnungsbauten, zumeist Hochhaussiedlungen, per Abriss und »Aufwertung« der jeweiligen Gegend zu »sanieren«. Die Ergebnisse dieser Politik sind nicht immer befriedigend ausgefallen, wie es aussieht.

Im Eröffnungstrack »Community of Hope«, in dem ein Wohnviertel der armen Bevölkerung in Washington D.C. beschrieben wird, heißt es: »Okay, now this is just drug town / Just zombies, but that’s just life / The Community of Hope / Here’s the highway to death and destruction / South Capitol is its name / The school looks like a shit hole - / Does that look like a nice place?« Tja. Nein. Nicht schön.

Was einst als urbanes Vorzeigeprojekt geplant war, ist also gescheitert. Der Stadtrat von Washington D.C. ist ganz aus dem Häuschen und schimpft, und zwar wohlgemerkt nicht wegen der traurigen Zustände, sondern weil Harvey die Frechheit besaß, diese mithilfe eines Liedes zu illustrieren. Und die Zukunft? Wie sieht die Zukunft aus? PJ Harvey verrät uns am Ende des Songs, was wir uns erhoffen dürfen, worauf wir uns freuen dürfen: »They’re gonna put a Walmart here.« Denn wirklich Mensch sein kann der Mensch nur dort, wo er zum sogenannten Endverbraucher geadelt worden ist. Das haben wir gelernt.

Den Schlussvers eines anderen Songs - »The Ministry of Defence«, dem mit seinen Wechsel zwischen krachenden Gitarrensalven, beschwörendem Chorgesang und orientierungslos röhrendem Freejazz-Saxophon ergreifendsten des Albums - bildet ein Satz, den Harvey auf einer der Mauern gesehen hat, die das einzige sind, was vom ehemaligen Gebäude des afghanischen Verteidigungsministeriums noch steht. In eine der verbliebenen Mauern gekratzt sind die Worte: »This is how the world will end.«

PJ Harvey: »The Hope Six Demolition Project« ( Island/Universal). Am 20.6. gibt PJ Harvey in der Zitadelle Berlin-Spandau ihr einziges Konzert in Deutschland.

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