Russland plant Visumzwang

Bürger der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken als Sicherheitsrisiko

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein geplantes Gesetz zum Visumzwang für Bürger der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken sorgt in Moskau für Debatten.

Das Datum fehlt noch, die Zustimmung von Kreml und Regierung ebenfalls. Doch von Duma und Senat kommen Unterstützung. Es geht um ein Gesetz zum Visumzwang für Bürger der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken. Die Initiative geht von Franz Klinzewitsch aus, dem Vizechef des Sicherheitsausschusses und Führungsmitglied der Kremlpartei »Einiges Russland«. Die Neuregelung soll Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan betreffen. Kasachstan und Kirgisistan gehören der von Moskau geführten Eurasischen Wirtschaftsunion an. Auf deren Gebiet gilt Freizügigkeit für Personen, Waren und Kapital.

Akuten Handlungsbedarf sahen Klinzewitsch und Co. nach dem Mord an einem Polzisten und fünf Mitgliedern von dessen Familie in Sysran bei Samara an der Wolga. Die am Montag festgenommenen Täter stammen aus Aserbaidschan und Usbekistan und sollen mit gefälschten tadschikischen Pässe eingereist sein. Die Bluttat ist indes nur der Anlass, die Ursachen liegen tiefer. Allein in Moskau und St. Petersburg leben weit über drei Millionen Gastarbeiter aus dem postsowjetischen Raum. Vor allem Tadschiken und Usbeken. Kleinere Gemeinschaften gibt es auch an der Wolga und in Südrussland.

Die Arbeitsimmigranten erledigen vor allem schmutzige und wenig qualifizierte Jobs auf Märkten, bei der Straßen- und Gebäudereinigung. Sie leben in Parallelwelten mit Bräuchen und Gewohnheitsrechten der muslimisch geprägten Herkunftsländer, was immer wieder zu Konflikten mit Einheimischen führt. Rechtsschutzorgane nehmen die Immigranten vor allem als Sicherheitsrisiko wahr.

Es geht dabei weniger um Alltagskriminalität als um Terrorismusgefahr. Zwar sind radikal-islamische Gruppierungen in Zentralasien verboten. Weil eine legale weltliche Opposition fehlt, haben sie dennoch viele Anhänger. Moskau aber kann deren Einreise derzeit nicht verhindern.

Kontrollen an den Grenzen zu den einstigen Bruderrepubliken führte Russland Mitte 1993 ein, anderthalb Jahre nach dem Ende der Sowjetunion. Lange genügte der Personalausweis für die Einreise. Erst seit Mitte der Nullerjahre werden Reisepässe und das Ausfüllen so genannter Migrationskarten verlangt. Auf denen wird jeder Ortswechsel von Ausländern amtlich vermerkt. Mehrfach wurde die Meldepflicht verschärft. Die Föderale Einwanderungsbehörde bekam die illegale Einreise dennoch nie in den Griff. Russlands Grenzen zu den Ex-Vasallen sind durchlässig wie zu Sowjetzeiten und oft kaum mehr als eine gedachte Linie. Offizielle Grenzstationen können auf Feldwegen umgangen und umfahren werden. Flüchtlingstrecks aus der Ukraine kamen daher im Sommer 2014 innerhalb weniger Tage in die südrussische Region Rostow am Don.

Die praktische Umsetzung des Visumzwangs sei daher problematisch, glaubt Wjatscheslaw Postawnin, Präsident der Stiftung »Migration im XXI. Jahrhundert«. Geld sei knapp in Zeiten der Krise, Grenzsicherung sowie Aufstockung und Schulung von Abfertigungspersonal würden jedoch Milliarden kosten.

Russlands Verhältnis zu den zentralasiatischen Republiken werde sich akut verschlechtern, befürchtet Gowhar Dschurajewa, die selbst aus Tadschikistan stammt und in Moskau das Rechts- und Informationszentrum für Migranten leitet. Überweisungen der Gastarbeiter seien »prominent« am Bruttosozialprodukt der Zentralasiaten beteiligt.

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