Eine soziale und keine Bildungsfrage
Lena Tietgen meint, dass Schulpolitik kein Ersatz für Sozialpolitik sein kann
Debatten um Schulstandorte und Fragen, welche Kinder in welche Schulen gehen, gehören zu den klassischen kommunalpolitischen Themen. Auf der einen Seite steht der verständliche Wunsch der Eltern, ihren Kindern die beste Bildung zukommen zu lassen. Dieser Wunsch ist kein neues Phänomen und auch nicht nur auf eine gut betuchte Schicht begrenzt. Dass es den Kindern einmal besser gehen soll und dieses Ziel vor allem über Bildung erreicht werden soll, ist bestes sozialdemokratisches Gedankengut.
Dieser Gedanke stand zu Beginn der Weimarer Republik Pate für die Einführung des sogenannten Sprengelsystems, das die Schulwahl im Primarbereich nach dem Wohnortprinzip regelte. Während aber damals Arbeiter fest an ihren Wohnort gebunden waren und schon allein deshalb keine Wahl bei der Schulwahl hatten, hat die Mobilität vieler Beschäftigter längst zugenommen. Daher ist der Wunsch auch in der Mittelschicht gewachsen, sich die Grundschule der Kinder selbst auszusuchen und in den Debatten um Schulstandorte mitzubestimmen. Auf der anderen Seite sorgen steigende Mieten sowie stagnierende oder sinkende Löhne dafür, dass die Mittelschicht über immer weniger Mobilität verfügen kann. In urbanen Räumen verschärfen Schulsprengel daher die Segregation. Gleichwohl sind gute Wohnviertel nicht der Garant dafür, dass dort auch die Schulen gut sind. Nicht selten finden sich Schulen mit exzellentem Unterricht gerade in solchen Vierteln, die als »Problemkieze« gelten.
Letztlich aber ist die Frage, ob bei der Einschulung von Kindern das Wohnortprinzip oder die freie Schulwahl gelten soll, damit soziale Segregation vermieden wird, eh falsch gestellt. Um der Segregation etwas entgegen zu setzen, braucht es eine andere Sozial- und Wohnungsbaupolitik, die die Quartiere sozial durchmischt.
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