Bloß kein Großkonflikt

In Deutschland fällt es immer schwerer gemeinsamen gewerkschaftlichen Arbeitskampf zu organisieren

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Gemeinsam Stärke und Veränderungswillen beweisen? Dieser Tage kein Anliegen der Gewerkschaften. Man zelebriert den Minikonflikt.

Auch »normale« Tarifrunden können bei entsprechender Zentralisation und Koordination den Charakter eines Massenstreiks annehmen und ausstrahlen. In Schweden sorgte der legendäre »Großkonflikt« im Frühjahr 1980 in Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst zwei Wochen lang für einen weitgehenden Stillstand des Landes. Die Kampfbereitschaft der in hohem Maße organisierten Gewerkschaftsbasis wurde durch eine Offensive der konservativen Regierung und des Arbeitgeberverbands befeuert. Es war die größte Streikbewegung seit 1945. Der Konflikt demonstrierte der gesamten Gesellschaft die Stärke der Gewerkschaften. Der Arbeitgeberverband wollte sie mit der Massenaussperrung von 700 000 Beschäftigten in die Knie zwingen und musste später wieder zurückrudern. In Deutschland tat und tut man sich schwerer mit einer effektiven Koordination der Tarifrunden.

Jahrzehntelang wurden die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst (ÖD) für Bund, Länder und Gemeinden sowie die einstigen Bundesbehörden Bahn, Post und Telekom zentral geführt. Älteren Gewerkschaftern ist der große ÖD-Streik von 1974 in Erinnerung geblieben. Der bundesweite ÖD-Arbeitskampf 1992 dauerte elf Tage. Seither haben Privatisierung und Ausgliederung öffentlicher Betriebe die Tariflandschaft stark fragmentiert. Viele hauptamtliche Gewerkschafter eilen von Tarifverhandlung zu Tarifverhandlung. Bund und Kommunen sowie die Länder bilden seit Jahren separate ÖD-Tarifbereiche mit unterschiedlicher Laufzeit.

Abgesehen von der anhaltenden Zerschlagung öffentlicher Betriebe wird die anhaltende Verzettelung der Tarifrunden in diesen Wochen erneut sichtbar. Manche Gewerkschafter hatten noch im Winter beim Blick auf den Tarifkalender 2016 still zu hoffen gewagt, dass in diesem Frühjahr die Gewerkschaftsbewegung ihre geballte Stärke demonstrieren und den branchenübergreifenden Schulterschluss vollziehen würde. Dies könnte nach Ansicht vieler auch dazu beitragen, den Aufstieg der Rechtspartei AfD zu bremsen und die organisierte Arbeiterbewegung als gesellschaftlichen Pol zu stärken, der die Kraft zur Veränderung der Verhältnisse hat. Solche gemeinsamen Bewegungen waren Mitte der 1990er Jahre üblich, als durch Initiativen von unten vielerorts Belegschaften zusammen auf die Straße gingen und ein Gefühl von Solidarität und Stärke entwickelten. Eine politische Folge war die Aufbruchstimmung, die sich 1998 in der Abwahl des CDU-Kanzlers Helmut Kohl niederschlug. Auch in der heftig geführten Streikbewegung für die 35-Stunden-Woche im Frühjahr 1984 war der Schulterschluss zwischen Metallindustrie und Druckbranche entscheidend.

In den letzten Wochen boten die eindrucksvollen Warnstreikwellen in den größten Tarifbereichen der Republik - dem öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen und der Metall- und Elektroindustrie - erneut die Chance für eine Bündelung der Kräfte. Doch ob Zufall oder nicht: Der ÖD-Tarifabschluss wurde ausgerechnet an jenem Freitag vereinbart, an dem die Friedenspflicht für die Metall- und Elektroindustrie endete. Während die ersten Metaller in der Nachtschicht ab 24 Uhr die Arbeit niederlegten, wurde in Potsdam der ÖD-Abschluss besiegelt. Gestreikt wurde in den letzten Tagen auch in Brotfabriken und Großdruckereien. »Man will keinen Großkonflikt«, sagt ein gewerkschaftlicher Insider gegenüber »nd«.

Wenn schon nicht gemeinsam auf der Straße gestritten wird, so teilt man doch zumindest branchenübergreifend Rituale und Dramaturgie bei Warnstreiks und Tarifabschlüssen. So stellte bei einer Kundgebung der IG BAU im Rahmen der Tarifrunde für das Bauhauptgewerbe am Dienstag in Wiesbaden ein hölzernes Streikgespenst vor dem Verhandlungslokal einen Blickfang dar. »Wir müssen Urabstimmung und Arbeitskampf ins Auge fassen«, rief IG-BAU-Verhandlungsführer Dietmar Schäfers den versammelten Mitgliedern zu. Gut zwölf Stunden später war der Abschluss perfekt. Die Einigung gehe »an die Grenze dessen, was die Kolleginnen und Kollegen gerade noch mittragen«, so Schäfers.

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