Wettbewerb um jeden Preis

Die Ökonomisierung des Hochschulsystems macht auch vor den staatlichen Unis nicht Halt. Eine wichtige Schaltstelle in diesem Prozess ist die EU. Von Isidor Grim

  • Isidor Grim
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Mitte April gab der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft »Empfehlungen für Transparenz bei der Zusammenarbeit von Hochschulen und Unternehmen« heraus. Spannend dabei ist, dass der Verband, zu dessen Hauptförderern eine Reihe großer Konzerne gehören, findet, dass Verträge zu Forschungskooperationen zwischen staatlichen Hochschulen und privater Wirtschaft weiter geheim bleiben sollen. Wie problematisch eine solche Geheimhaltung ist, zeigt ein Vorfall, den das Schweizer Fernsehen (SRF) kürzlich aufgedeckt hat. Der SFR berichtete, dass das Pharmagroßunternehmen Merck-Serono in Kooperation mit der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) sich nicht nur vorbehält, die Forschungsresultate alle drei Monate zu sichten, sondern auch »akzeptable Änderungen« daran vorzunehmen.

Die finanzielle Lenkung durch sogenannte Drittmittel ist eine weitere Form struktureller Privatisierung des staatlichen Hochschulwesens. Ihr Anteil ist in manchen deutschen Universitätskassen bereits auf über 40 Prozent gestiegen. Drittmittel müssen in der Regel privatwirtschaftlich kofinanziert werden. So sorgt der schlank gemachte Staat für immer mehr Einfluss der Wirtschaft auf Lehre und Forschung.

»Autonomie« - wie sie der Bertelsmann-Thinktank CHE in Gütersloh gebetsmühlenartig fordert - heißt beileibe nicht Selbst- und Mitbestimmung an Unis, sondern absolute Entscheidungsbefugnisse für deren Präsidenten - ähnlich wie in Großunternehmen. Ein Blick ins europäische Ausland lehrt uns das Gruseln: Ein Staat nach dem andern ändert seine Bildungsgesetze in diese Richtung. Spanien bekam letztes Jahr sein Hochschulfreiheitsgesetz (LOMCE), gegen das die Studierenden seitdem im ganzen Land demonstrieren. Polens Bildungsminister Jarosław Gowin arbeitet an einer Gesetzesreform für stärker wettbewerbsorientierte Unis. Und in Kroatien, das sein Bildungsbudget gerade drastisch gekürzt und die Studiengebühren erhöht hat, fand Ende April eine Konferenz statt, bei der »innovationsfreundliche« Hochschulreformen diskutiert wurden. Organisiert von der Weltbank, nahmen daran Experten der Europäischen Union (EU), Bildungsminister aus Tschechien, Griechenland, Estland, Litauen, Lettland, Polen, Rumänien und Slowenien teil sowie als Experte der Privatisierungsverfechter Jörg Dräger von Bertelsmann.

Wenn Weltbank und EU intervenieren, offenbart sich der enge Zusammenhang der Hochschulreformen mit der der Öffnung der Märkte für internationales Kapital und dem Abbau nationaler Gesetzesnormen. Die Freihandelsabkommen TiSA und TTIP sollen diesen Prozess beschleunigen: Staatliche Dienstleistungen sollen mit privaten konkurrieren, im Ausland akkreditierte Studienabschlüsse sollen dasselbe wert sein wie hiesige usw. Für Christian Höppner vom Deutschen Kulturrat steht hierdurch die Unabhängigkeit von Wissenschaft, Forschung und Lehre auf dem Spiel. Je größer der Anteil von Stiftungsprofessuren und Drittmitteln werde, desto stärker könnten sich die Kapitalgeber mit ihren Interessen an den öffentlichen Hochschulen durchsetzen.

Eine wichtige Schaltstelle für diesen Prozess ist die Europäische Union. Die EU organisiert und fördert seit acht Jahren Konferenzen zu University-Business, bei denen »Hochschulmanager«, Politikforscher, Bildungsminister und deren Stäbe mit Argumenten gefüttert und in praxisorientierten Workshops fit gemacht werden. Zu Anfang fanden diese Foren noch im Verborgenen statt. Mittlerweile sind diese Zusammenkünfte prestigereiche Treffen, die Handelkammern, Arbeitgeberverbände und Rektorenkonferenzen mitorganisieren. Zählt man die Angebote der OECD und des Europäischen Hochschulverbands EUA zusammen, kommt man auf einen solchen Event pro Monat in Brüssel oder einer anderen europäischen Universitätsstadt.

Deutsche Rektoren stehen in dieser Auseinandersetzung in der Regel auf der Seite der Wirtschaft. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) arbeitet mit dem CHE zusammen und verschafft so dem Bertelsmann-Konzern Zugang zu den Unis, vor allem auf Leitungsebene, wo die Segnungen der »unternehmerischen Universität« in Form von Informationsmaterial, Studien oder Kursangeboten verbreitet werden. So verwundert es auch nicht, dass für den derzeitigen HRK-Vorsitzenden Horst Hippler das Thema Studiengebühren »längst nicht erledigt ist«. Die HRK will also eine Wiedereinführung der von der Politik auf Druck auch der Studierenden abgeschafften Uni-Maut, anstatt sich dafür einzusetzen, dass die Länder die Mittel, die durch die Übernahme der Bafög-Förderung durch den Bund in ihren Etats freigeworden sind, für die Hochschulen zu verwenden.

In der Schweiz ist man bereits einen Schritt weiter. Hier hat der Präsident der eingangs erwähnten EPFL zu Beginn des Jahres die Verdoppelung der Studiengebühren vorgeschlagen und als Begründung auf die Sparpolitik des Schweizer Bundesrates verwiesen. Dieser strebt an, das Bundesbudget für die Hochschulen in den kommenden Jahren um umgerechnet rund 2,7 Milliarden Euro zu kürzen. Die Studierenden der EPFL haben dies als »Degradierung der öffentlichen Dienste« kritisiert. Gleichzeitig habe die Regierung in Bern nämlich bekanntgegeben, dass 2015 ein Jahresüberschuss von 2,3 Milliarden Franken (rund zwei Milliarden Euro) erzielt worden sei.

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