Wie Pankow teuerstes Pflaster der Stadt wurde

Experten diskutieren 25 Jahre Stadtsanierung

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 2 Min.
Der Tag der Städtebauförderung am vergangenen Sonnabend war Anlass für ein Podium, das sich mit den Ergebnissen der Stadterneuerung im Bezirk auseinandersetzte.

Nur noch etwa 20 Prozent der Menschen, die 1990 in Prenzlauer Berg wohnten, leben noch dort, der Rest inzwischen weggezogen. Das ist ein Ergebnis der Verdrängung von Geringverdienern, glaubt Matthias Bernt vom Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS). »Vor Beginn der Sanierung war das Einkommen dort im stadtweiten Vergleich unterdurchschnittlich, nun liegt es über dem Durchschnitt«, sagt er.

860 Millionen Euro direkte Förderung und über eine Milliarde an Steuerabschreibungen flossen für die Rekonstruktion der maroden Altbauten an meist private Hauseigentümer. »Trotzdem müssen Wohnungsinteressenten in Pankow 3,60 Euro pro Quadratmeter über dem Mietspiegel zahlen«, kritisiert Armin Hentschel, Direktor des Instituts für Soziale Stadtentwicklung. Die gesamte Sanierung auf privater Ebene abzuwickeln sei ein »Riesenfehler« gewesen. Nur sieben Prozent der Wohnungen im Bezirk seien im Besitz landeseigener Wohnungsbaugesellschaften.

»Insgesamt war die Stadtsanierung in Pankow ein positiver Prozess«, findet trotzdem der Pankower Baustadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne). Allerdings bezeichnet er es als »historischen Fehler«, dass damals die öffentliche Hand nicht Häuser gekauft habe. 1992 wurde noch ein Haus in der Kollwitzstraße für 100 000 Mark, umgerechnet rund 50 000 Euro, verkauft. Heute ist die Gegend eines der teuersten Pflaster der Stadt. In den letzten Jahren habe sich die energetische Sanierung mit der hohen Umlage auf die Miete zu einer »massiven Bedrohung« entwickelt, so Kirchner. Der Bevölkerungsaustausch der letzten Jahre sei allerdings nicht bloß auf Verdrängung zurückzuführen, sagt Theo Winters, Geschäftsführer des Sanierungsträgers S.T.E.R.N., der im Senatsauftrag fünf Gebiete in Prenzlauer Berg betreut hatte. »Zwischen 1970 und 1990 gab es auch eine Fluktuation von 70 Prozent«, sagt er.

Letztendlich sind die hohen Mieten und die daraus folgende Verdrängung das Ergebnis politischer Fehlentscheidungen, ist sich das Podium einig. Das reicht von Mietrechtsliberalisierungen, der Erleichterung der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen bis zur Aufhebung der Gemeinnützigkeit bei Wohnungsbaugesellschaften auf Bundesebene. Gesetze wie die noch unzulängliche Mietpreisbremse seien 15 bis 20 Jahre zu spät gekommen, sagt Winters. Er kritisiert auch die »massive staatliche Förderung ohne Gegenleistung« durch steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten. »Ich bin ganz strikt dagegen, Privateigentümern Förderungen mit wenigen Jahrzehnten Bindungsfristen zu geben.« Auch Kirchner plädiert dafür, Subventionen vor allem den landeseigenen Wohnungsunternehmen und Wohnungsbaugenossenschaften zu geben, um so preiswerte Unterkünfte zu garantieren. Vor allem müsse die Kritik an den Verhältnissen »hörbar in der Stadtgesellschaft werden«, sagt Matthias Bernt.

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