Wozu Schlossallee?

Monopoly: Antikapitalistischer Ansatz vom Kapital längst überrollt

  • René Gralla
  • Lesedauer: 5 Min.

Manche Karriere wird per Zufall gestartet. Eigentlich wollte Ita Hoffmann ihrem Freund bloß moralischen Support geben, nachdem der einen Facebook-Aufruf gelesen und sich angemeldet hatte zu einem Turnier, bei dem ein WM-Ticket nach Macau ausgespielt werden sollte. Aber als die Kauffrau samt Lebenspartner Ronny eintraf am Leipziger Platz in der Mall of Berlin, dem Ort des Ausscheidungswettkampfes, fehlte plötzlich einer der übrigen Kandidaten. Die 26-Jährige sprang ziemlich spontan ein. Und Stunden später hatte sie den Rest der Konkurrenz ausgeschaltet, ihren Freund inklusive. Ita Hoffmann hatte als erste Frau die deutsche Meisterschaft im Monopoly gewonnen - und obendrein das Recht erworben, im chinesischen Macau um die Weltmeisterschaft zu kämpfen.

Ein Erfolg, der nicht allein die Turnierveranstalter auf kaltem Fuß erwischte. »Die hatten wohl erwartet, dass sich wie immer ein Mann durchsetzt, und den Pokal schon voreilig mit ›Deutscher Meister‹ gravieren lassen«, erzählt die Berlinerin. Aber auch für die Siegerin kam das alles unerwartet. Nach den üblichen Anfängen in Jugendtagen hatte sich die nunmehrige amtierende Frontfrau der Republik nämlich nie ernsthaft mit diesem Spiel beschäftigt. Ihr war vor ihrem Coup von Berlin nicht einmal klar gewesen, dass Matches im Monopoly überhaupt nach sportlichen Regeln ausgefochten werden, geschweige denn, welche Strategien den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen. »Deswegen hatte ich in der ersten Wettkampfrunde schlicht Glück«, erinnert sie sich. »Ich musste mir bei den Mitbewerbern erst mal abgucken, was vielleicht ein guter Plan ist.«

Sogar eine Bibelversion gibt es

Nach seiner offiziellen Markteinführung vor knapp 81 Jahren hat sich Monopoly zu einem der erfolgreichsten Brettspiele der Welt entwickelt. In hundert Ländern seien bisher mehr als 250 Millionen Sets abgesetzt worden. Die Regeln sind inzwischen in 37 Sprachen übersetzt. Gleichzeitig gibt es verschiedene Varianten des Spielplans, etwa dem deutschen, schweizerischen oder US-amerikanischen Lebensraum entsprechend.

Abgesehen davon kursieren zahlreiche Varianten der Grundversion, zum Beispiel eine spezielle deutsche Edition. In ihr sind die Namen der Straßen des Originals ersetzt worden durch die deutscher Großstädte und deren Wahrzeichen, zum Beispiel Berlin mit dem Brandenburger Tor und Leipzig mit dem Völkerschlachtdenkmal. Hinzu kommen abgeleitete Spiele nach ähnlichem Muster wie »Hotel« (ein Wettkampf um die Nr. 1 im Beherbergungsgeschäft) oder »Shalom«, das sich am Bericht der Bibel über die zwölf Stämme Israels orientiert: mit Siedlungen statt Straßen und Schafen respektive Kamelen als Zahlungsmittel. gra

Nach Bauchgefühl losgestürmt und im Eiltempo das Rennen dominiert: eine Leistung, die Respekt abnötigt. Und dennoch stellt sich die grundsätzliche Frage: Welche Strategien und Taktiken sollen das eigentlich sein ausgerechnet im Monopoly? Ist nicht immer viel zu viel Würfelglück bzw. -pech im Spiel?

Ja und nein, sagt Ita Hoffmann. In einer Partie Monopoly müsse auch methodisch operiert werden. Bekanntlich versucht jeder Teilnehmer am Brett, möglichst lukrative Immobilien an sich zu reißen. Es genüge aber keinesfalls, unbedingt die gerne zitierten Luxuszeilen »Schlossallee« plus »Parkstraße« in die Hand zu kriegen. Ausgefuchste Typen kaprizierten sich lieber auf weniger glamouröse Objekte in relativer Nachbarschaft eines Feldes, das nach der Spielanleitung »Gefängnis« heißt, rät die Meisterin. Warum?

Darf ein Rundenteilnehmer, den schieres Pech in den symbolischen Bau verschlagen hat, jenen tristen Ort wieder verlassen, steuert ihn das gnadenlose Gesetz von Zahl und Würfelwahrscheinlichkeit unweigerlich in die knastnahen Wohnmeilen. Und dort werden dann empfindliche Mietzahlungen fällig. Folgerichtig sollte stets »zwei und drei Schritte im Voraus geplant werden«, meint Ita Hoffmann. Außerdem seien Überredungskunst und Psychologie wichtig, und zwar zum Auftakt eines Matches während der häufigen Verhandlungen, um den eigenen Grundbesitz zu arrondieren.

Bluffs und heuchlerische Deals mit dem Ziel der Pleite der Gegenspieler - Monopoly bringt offenbar den real existierenden Kapitalismus in Kinderzimmer und Familienstuben. Weshalb das Spiel wohl in der DDR nicht im Handel war. Dies wertet Ita Hoffmann als Ausdruck eines Missverständnisses. Ganz klar, Monopoly spiele mit und spekuliere auf Gier der Leute. Aber genau deswegen sei Monopoly überhaupt kreiert worden, erinnert Ita Hoffmann an die ursprüngliche Erfinderin des Spiels. »Die hatte demonstrieren wollen, dass, sobald sich jemand ein Monopol gesichert hat, den anderen Menschen nichts mehr bleibt.«

Tatsächlich basiert Monopoly auf einem Konzept der US-Amerikanerin Elizabeth »Lizzie« Magie. Die gelernte Stenotypistin hoffte, die Funktionsweise des Kapitalismus spielerisch zu entlarven, und ersann 1904 »The Landlord's Game«, übersetzt: »Das Vermieterspiel«. Und sie wünschte sich, dass »Männer und Frauen« daraus eine Lehre zögen: Die Armut der Massen rühre daher, dass die Rockefellers dieser Welt »mehr Geld haben, als sie ausgeben können«.

Leider erschließt sich die ursprünglich intendierte Kapitalismuskritik im Monopoly, zu dem der amerikanische Spielehersteller Parker Brothers nach Erwerb der Patentrechte 1935 das sozialaufklärerisch angelegte Originalprodukt transformiert und verwässert hatte, heute bestenfalls den Eingeweihten. Das beobachtet auch Ita Hoffmann. Die Mehrheit möchte im Spiel schlicht ausleben, was ihnen die Realität des neoliberalen Systems überwiegend verwehrt: Scheffeln ohne Ende. Eine politisch selbstverständlich total inkorrekte Motivationslage. Die treibt ihrerseits wiederum aufrechten Linken, die über den ideengeschichtlichen Hintergrund von Monopoly nicht lange nachdenken mögen, die Röte des heiligen Zorns ins Gesicht. Paradebeispiel ist Ita Hoffmanns geliebte Großmutter, die anlässlich einer Runde Monopoly zur Weihnachtszeit im trauten Kreis kurz und bündig das Verdikt fällte: »scheißkapitalistisches Spiel!«

Vielleicht sollte man die Sache aber einfach etwas tiefer hängen: »Letztlich bleibt Monopoly ein Spiel, und das macht unheimlich Spaß«, findet Ita Hoffmann. »Keine Partie gleicht der anderen, und den Verlust von gestern lässt der Gewinn von morgen schnell vergessen.« Diese entspannte Haltung hat sie auch über ihr Ausscheiden bei der WM hinweggetröstet. Das Weltturnier in Macau hatte sie erkrankt abbrechen müssen.

Doch für Ita Hoffmann ist »nach der WM vor der WM«. Sie kann sich gut vorstellen, einen neuen Anlauf auf den Welttitel zu wagen. Egal, ob da Klaus Lage in seinem inzwischen links-legendären Song »Monopoli« den manipulierten und ausgebeuteten »Randfiguren in einem schlechten Spiel« kämpferisch seine Stimme gibt. Als reines Spiel ist Monopoly längst ein moderner Klassiker, und Ita Hoffmann in ihm keineswegs eine »Randfigur«. Von ihr werden die »Herren der Schlossallee« (O-Ton Klaus Lage) jedenfalls ganz gewiss wieder hören.

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