Beim CDU-Chef knarrt der Holztisch

Landesparteitag in Prenzlau beschloss Leitantrag gegen die geplante Kreisgebietsreform

»Merkel muss weg!« Das wird Freitagabend vor der Uckerseehalle in Prenzlau gegrölt. Die Kanzlerin muss wirklich weg - zu einem weiteren Parteitag nach Güstrow.

»Kreisgebietsreform? Wir lassen uns nicht zusammenlegen!« Das steht auf den gefalzten Kunststoffblättern im Format A4. Die Delegierten des CDU-Landesparteitags am Freitagabend in Prenzlau halten diese Blätter extra lange hoch, damit Fotos von dieser Szene gemacht werden können. Auf diese Weise bestätigen sie einstimmig und ohne Änderungswünsche den 27 Seiten langen Leitantrag. Anschließend falten die Delegierten die Kunststoffteile und rasseln damit. Schließlich beginnt einer, sein Teil donnernd auf den Tisch zu schlagen, und die anderen lassen sich auf seinen Rhythmus ein und machen mit.

Das soll ein starkes, ein lautstarkes Zeichen sein: Die CDU lehnt die von der rot-roten Koalition geplante Reduzierung der Kreisverwaltungen auf maximal zehn ab. Gegenwärtig gibt es in Brandenburg 14 Landkreise und vier kreisfreie Städte. Wenn es nach der CDU ginge, so würden sich Kreise höchstens freiwillig zusammenschließen, oder das Land würde sie auf Kooperationen untereinander verpflichten.

Das Argument, der Einwohnerschwund erzwinge Fusionen, da anders eine leistungsfähige Verwaltung in Zukunft nicht mehr zu finanzieren sei, lässt die CDU nicht gelten. Sie argumentiert ihrerseits, dass günstigere Bevölkerungsprognosen nicht berücksichtigt und ankommende Flüchtlinge nicht eingerechnet seien. Zudem sei nicht erwiesen, dass die Städte Cottbus, Brandenburg/Havel und Frankfurt (Oder) ihre hohen Schulden loswerden, wenn sie ihre Kreisfreiheit verlieren. Eine geringere Einwohnerzahl bedeute auch nicht automatisch eine weniger effiziente Verwaltung. So stehe das dünn besiedelte Oberspreewald-Lausitz dem bevölkerungsreichen Oberhavel in der Verwaltungseffizienz kaum nach.

»Die Uckermark ist schon groß, größer kann sie nicht werden«, ruft der Landtagsabgeordnete Henryk Wichmann in die Uckerseehalle hinein. »Wir machen diesen Unsinn, diesen Wahnsinn von Rot-Rot nicht mit.« Wichmann bekommt dafür genauso Applaus wie die Oberbürgermeisterin von Brandenburg/Havel, Dietlind Tiemann, als sie sagt: »Diese Landesregierung macht die Kreisgebietsreform, wie sie den Flughafen baut - im Blindflug.«

In verschiedenen Variationen appellieren alle Redner ans Heimatgefühl. Für den CDU-Landesvorsitzenden Ingo Senftleben ist Heimat auch der Esstisch, den er von seinem Großvater übernommen hat. Der Holztisch knarrt an einer Stelle, aber nie würde er dies beheben lassen, versichert der Parteichef, der sich am Rednerpult als fußballbegeistert zu erkennen gibt, und als Fan des 1. FC Köln. Denn im Rheinland habe seine Familie ebenfalls Wurzeln, nicht nur im südbrandenburgischen Ortrand. Senftleben sagt auch: »Wer etwas von Fußball versteht und Patriot ist, der wird jedem einzelnen Spieler zujubeln, der für unser Land spielt.« Damit meint er die Schmähung des in Berlin geborenen Fußball-Nationalspielers Jérôme Boateng durch den AfD-Fraktionschef Alexander Gauland, der über Boateng sagte, dass »die Leute« ihn angeblich nicht als Nachbarn haben wollen.

Solche Leute gibt es. Rassisten, denen nicht einmal das zuletzt deutlich eingeschränkte Asylrecht passt. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an der Uckerseehalle eintrifft, grölt und schreit draußen eine Handvoll Leute: »Merkel muss weg!«

Drin wird die Kanzlerin nur Sekunden später gefeiert. Aus der Lautsprecheranlage tönt Musik, ein lautes Trommeln, und die Delegierten erheben sich und bilden Spalier, während Merkel durch den Mittelgang zur Bühne schreitet. Die Menge johlt begeistert und klatscht wie wild. Der Saal mag sich kaum wieder beruhigen. Hier in der Uckermark, wo die Kanzlerin zwar nicht geboren, aber aufgewachsen ist, darf Merkel die versammelten Parteimitglieder wirklich noch ausnahmslos als Parteifreunde ansehen.

Merkel spricht von verschiedenen Dingen, schwärmt ziemlich lange vom fahrerlosen Auto der Zukunft, dessen Markteinführung sie noch zu erleben hofft. Sie findet es auch gut, dass die Mehrheit der Deutschen jene willkommen heiße, »die wirklich vor Krieg, Terror und Not fliehen«. Aber natürlich könne ein Land allein nicht die 60 Millionen Menschen aufnehmen, die weltweit auf der Flucht seien. Merkel verweist auf die langen Außengrenzen der EU vom Nordpol bei Grönland bis nach Algerien, und sie sieht eine Notwendigkeit, diese Grenzen zu schützen. Das gelinge ganz gut zu Lande, sei aber schwer im Mittelmeer, da Flüchtlingsboote aus Seenot gerettet werden müssen.

Merkel hat nicht nur eine Heimat. Die echte Heimat, das ist der Ort ihrer Jugend, das ist Templin in der Uckermark. Die politische Heimat liegt in Mecklenburg-Vorpommern, wo sie ihren Bundestagswahlkreis hat. Und darum muss Merkel tatsächlich weg, weiter zu einem anderen CDU-Landesparteitag in Güstrow. Dorthin fliegt sie. Aber vorher sagt sie noch ein paar Worte zu Brandenburg. »Mit Rot-Rot wird dieses wunderschöne Bundesland unter Wert regiert«, behauptet Merkel. Sie nimmt sich kurz die Bildungspolitik vor, stänkert gegen die Gemeinschaftsschule, ohne das Wort zu verwenden. Sie sagt: »Wir wollen Chancengleichheit, aber es gibt keine Ergebnisgleichheit.« Leistung müsse »eine Heimat« haben.

Die CDU bietet zu jedem Parteitag einen Geistlichen auf, der besinnliche Worte spricht. Diesmal ist das Pfarrer Gunter Ehrlich aus Schwedt. Er fahndete in der Bibel nach dem Heimatbegriff. Doch in der Heiligen Schrift gibt es wenige Bezüge. Einen davon hat Ehrlich immerhin gefunden: »Unsere Heimat ist im Himmel.«

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal