Das Schicksal von Faxgeräten

Wer schaut eigentlich gestreamte Serien? Und hat das traditionelle Fernsehen schon ausgedient?

  • Guido Speckmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie wissen es genau. Doch wie Google oder Facebook sind sie nicht so generös, ihr durch Algorithmen und eine Heerschar von Mathematikern, Psychologen, Statistikern und Informatikern erlangtes Wissen zu teilen. Streaminganbieter wie Netflix und Amazon geben zwar bekannt, wie viele Nutzer die monatliche Gebühr von 8 bis 12 Euro zahlen, um den Zugang zu den Serien und Filmen zu erhalten. Netflix etwa hat derzeit global 81,5 Millionen Kunden, davon kommen knapp 47 Millionen aus den USA. Doch die Streamingportale verraten nicht, wie viele Zuschauer in Deutschland zum Beispiel die John le Carré-Verfilmung »The Night Manager« gesehen haben, wann sie das getan haben, wie lange und auf welchen Geräten.

So muss auf andere Zahlen und Umfragen zurückgegriffen werden, will man quantitative Aussagen über Verbreitung und Beliebtheit der neuen Serien treffen. Dass sie die Feuilletons und die »kulturelitären Zirkel westlicher Großstädte« (Der Spiegel) maßgeblich mitprägen, ist offensichtlich - sofern man gelegentlich jene Zeitungsseiten aufschlägt oder mit diesen Zirkeln in Berührung kommt. Doch ist das herkömmliche Fernsehen tatsächlich schon dem Tod geweiht, wie Bill Gates prognostiziert hat? Stehen Fernseher tatsächlich bald in Wohnzimmern rum wie Faxgeräte in unseren Büros: als Staubfänger? Werden »Unterhaltungs-Apps« die Zukunft des Fernsehens sein, wie Apple-Chef Tim Cooks jüngst prophezeite? Zumal, wenn »Youtube« dieses Jahr auch in Deutschland sein Abomodell »Red« vorstellt.

Ganz ausgeschlossen scheint das nicht - zumindest, wenn man sich das Medienverhalten der Jungen in Deutschland ansieht. Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts »Heute und Morgen« gehört das lineare Fernsehen zu den Verlierern. 54 Prozent der volljährigen Schüler, Azubis und Studenten würden - vor die Wahl gestellt - heute bereits lieber auf das klassische Fernsehen als auf »YouTube« verzichten (Bevölkerungsdurchschnitt: 19 Prozent). Im Allgemeinen nutzen zwar weiterhin vier Fünftel (79 Prozent) der Bundesbürger das Echtzeit-TV (2010: 84 Prozent), doch die durchschnittliche Zeit hat sich verringert, so die repräsentative Befragung von 2000 Personen.

Eine von der Deutschen Presse-Agentur in Auftrag gegebene Studie bestätigt diese Tendenz: Am beliebtesten sei Film-Streaming bei Menschen zwischen 25 und 34. Nur 24 Prozent halten es für verzichtbar. Bei den Menschen zwischen 18 und 24 finden es 27 Prozent verzichtbar, bei denen zwischen 35 und 44 immerhin 32 Prozent, bei den 45- bis 54 Jährigen 35 Prozent.

Und eine weitere Erhebung, bei der rund 5500 Menschen befragt wurden, kommt zu dem Resultat, dass bereits jetzt mehr als vier Fünftel der Deutschen zwischen 14 und 34 Jahren Videoangebote wie Netflix oder Instant-Video von Amazon nutzen. Bemerkenswert dabei: Die Hälfte schaut sich zum Beispiel die von Netflix produzierte Erfolgsserie »House of Cards« auf den kleinen Smartphone-Displays an.

Die Bedeutung des klassischen Fernsehens sinkt demnach tatsächlich. Doch tot wird es noch lange nicht sein. Das liegt freilich auch daran, dass der Fernseher selbst zu einem Gerät zur Benutzung von Apps wird: zu einem Smart-TV. Auf ihm kann man sich die Serien von Netflix und Amazon oder Videoclips auf Youtube bequem ansehen. Was damit aber sehr wohl an Bedeutung verlieren wird, ist das klassische lineare Fernsehen. Programmzeitschriften werden für die Zusammenstellung des Fernsehprogramms an Bedeutung verlieren. Wenn man das Pech hatte, sich im Wochentag oder in der Uhrzeit zu irren - auf den Smart-TVs kann man die Tagesschau versetzt starten und sich andere Programme in der Mediathek nachträglich oder vorab anzusehen.

Entscheidend für die Bindung von Kunden ist bei Amazon und Netflix die individuell algorithmisierte Vorschlagfunktion - ansonsten ist man ziemlich verloren in der Fülle des Angebots. Deshalb die anfangs erwähnte Heerschar an Mathematikern und Statistikern.

Das Fernsehen könnte in wenigen Jahren somit so aussehen, wie es die Studie »Die Zukunft des Fernsehens« prognostiziert: »hochvernetzt, sozial und interaktiv, gerne einmal in 3D, omnipräsent, multifunktional und maßgeschneidert.« Das muss man nicht gut finden und man braucht auch kein Smart-TV, um und dort Katzenvideos oder Sendungen von Youtube-Stars schauen. Fest steht indes, dass sich die neuen TV-Serien, die zum Teil von so umstrittenen Konzernen wie Amazon produziert werden, wohltuend von den Produktionen des alten Fernsehens abheben.

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