Handgemachtes für zu Hause

Bürgel produzierte nie nur Blau-Weiß, doch gerade das hat seine Fans - bis heute

  • Steffi Schweizer, Bürgel
  • Lesedauer: 3 Min.
Bürgel in Thüringen ist weltbekannt für seine Töpferwaren. Einmal im Jahr präsentieren die Hersteller ihr Produkte in der Stadt.

Die blaue Keramik mit dem weißen Punkt ist bis nach Amerika und Japan bekannt. In der Thüringer Kleinstadt Bürgel produzieren noch acht Manufakturen, die an jedem dritten Wochenende im Juni ihr Können sozusagen vor der eigenen Haustür präsentieren. Dazu gesellen sich Jahr für Jahr an die 100 Kolleginnen und Kollegen aus ganz Deutschland und Europa. Dabei sieht man viel mehr als nur blau und weiß. Aber wie kam dieses schlichte »Bauerngeschirr«, wie es manchmal genannt wird, überhaupt in diese Stadt?

Es war der Jugendstilkünstler Henry van de Velde, der vor dem 1. Weltkrieg den Töpfern Bürgels mit Entwürfen wieder aus der Krise heraus half. Im Keramik-Museum am Markt sind einige Stücke zu sehen: angefertigt um 1904 - formschön und zeitlos. Doch erst in der DDR kam der Boom. Bürgeler Blau-Weiß entwickelte sich zum Markenzeichen. Unter dem Namen Expertic ging es ins Ausland. Im Inland war es »Bückware«. Während der Töpfermärkte campierten die Fans auf der Straße, um am Morgen die Ersten zu sein. Doch was und wie viel die Töpfer auch drehten, bemalten, brannten und glasierten - der Bedarf konnte nie gedeckt werden. Ob Erste oder Dritte Wahl, es wurde ihnen aus den Händen gerissen.

Damit einher ging allerdings auch eine gewisse Dekorverarmung. Günther Reichmann, Inhaber der letzten Familientöpferei in Bürgel, betont, dass »Bürgel eine Töpferstadt mit einer großen Vielfalt ist. Das wissen die meisten gar nicht. Es gab keine Werkstatt, in der ausschließlich Blau-weiß gemacht wurde. Aber es war den Leuten recht lieb geworden. Eigentlich bis heute.« Nach wie vor hat das Blau-Weiße seine zahllosen Verehrer. Nach einer tiefen Talfahrt, beginnend mit der Wende, in der der Export wegbrach, Kunstgewerbeläden verschwanden und Billigprodukte aus Fernost den Markt überschwemmten, wächst seit einiger Zeit langsam wieder die Akzeptanz dafür, dass handwerklich hergestellte Keramik ihren Preis hat.

Auch Anne Reichmann, Töpfermeisterin wie ihr Vater, weiß: »Es ist eine Frage der Wertigkeit. Teller und Tassen hat doch jeder genug. Aber man will sich etwas Handgemachtes nach Hause holen, etwas Schönes«. Sie hat die Serie »Farbenfroh« entwickelt. Hellgrün und gelb heißt »Apfel«, rot und gelb »Mandarine«. Es gibt 15 Farben, jede Kombination lebt vom Zusammenspiel zweier Farben. »Damit kann man ganze Bilder auf dem Tisch schaffen,« schwärmt sie.

Anne Reichmann spricht damit eine andere Generation an. »Viele sind doch heute mit einer hochmodernen Küche eingerichtet, wo Blau-Weiß so speziell ist, dass es einfach nicht passt. Das ist der Charme der alten Zeiten, als man ganze Services gekauft hat: ein ganzes Kaffeeservice, ein ganzes Bowleservices, ein Saftservice und das Gewürzset oben auf dem Schrank. Vieles wurde nicht benutzt. Aber die Welt hat sich ein Stück weiter gedreht. Wir Keramiker müssen begreifen, dass bestimmte Artikel auch Mal aus der Mode kommen,« so die junge Töpfermeisterin. Deutschlandweit geht die Familie jährlich auf bis zu 40 Märkte, wo Farbenfrohes gleichberechtigt neben Blau-Weiß steht.

Jedes Stück ist ein per Hand gefertigtes Unikat - entweder auf der Scheibe gedreht oder im Gießverfahren hergestellt, zwei Mal gebrannt und auf jeden Fall markenrechtlich geschützt. Ein ganz besonderer Hingucker sind Günther Reichmanns dekorative Einzelstücke mit ihren feinen Glasuren. Der einstige Schüler des bedeutenden Keramikers Walter Gebauer gehört zu den ganz Wenigen, die diese Glasurtechnik heute noch beherrschen.

42. Bürgeler Töpfermarkt vom 17.bis 19. Juni www.buergeler-toepfermarkt.de

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