Bangen bis zum jüngsten Tag

Für Leipzig sind die Folgen dubioser Finanzdeals von 2005/07 noch immer unkalkulierbar

  • Harald Lachmann, Leipzig
  • Lesedauer: 4 Min.
Es ist ein Jahrzehnt her, dass Verantwortliche kommunaler Betriebe der Stadt Leipzig mit Großbanken und »Heuschrecken« dubiose Finanzdeals vereinbarten. Doch die Sache ist nicht ausgestanden.

Es sah nach einem Sieg auf der ganzen Linie aus, als Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) Anfang November 2014 aus London zurückkehrte. Denn soeben hatte die sächsische Metropole die Schweizer Großbank UBS in einem spektakulären Verfahren besiegt. Doch inzwischen muss man in der sächsischen Stadt in dieser Sache wieder bangen.

Es ging um sogenannte Finanzwetten, die die Spitze von Leipzigs Kommunalen Wasserwerken (KWL) zwischen 2005 und 2007 mit den Züricher Bankern vereinbart hatte. KWL-Finanzchef Klaus Heininger und sein Partner Andreas Schirmer hofften seinerzeit, über diese Kreditausfallverträge mit mehreren Banken ältere Risiken aus sogenannten Cross-Border-Leasingkontrakten besser abzusichern.

Doch die Spielregeln waren perfide: Es handelte sich im Grunde um ein Pokerspiel, bei dem die Wasserwerke gegenüber den Banken als Versicherer agierten. Der Kommunalbetrieb strich dafür eine ordentliche Prämie ein, musste aber im Gegenzug das Risiko schultern, falls ein Kreditnehmer gegenüber dem Geldinstitut nicht mehr flüssig war. Auch weil dieser Deal quasi in einer rechtlichen Grauzone ausgehandelt worden war - nämlich am Leipziger Stadtrat vorbei - verweigerte die Kommune später die Zahlung weiterer Kreditgarantien gegenüber der UBS und wurde von dieser daraufhin vor dem Londoner High Court geklagt. Auf dem Spiel standen bis zu 370 Millionen Euro - eine Summe, die die Stadt finanziell in die Knie gezwungen hätte. Doch dann verkündete Richter Stephen Males im November 2014: »Die Klage der UBS wird abgewiesen.«

Males nannte das Ganze »eine Fallstudie, wie man das Investment-Banking in einer ehrlichen und fairen Weise nicht betreiben soll«. Denn für ihn hatten sich Schlüsselfiguren des Züricher Geldhauses ernsthaften Fehlverhaltens schuldig gemacht. So habe UBS durch die Vermittlung der Schweizer Finanzberatungsfirma Value Partners den Leipzigern »hochkomplizierte und riskante« Finanzdeals angedreht - eben jene forderungsbesicherten Schuldverschreibungen (Collateralised Debt Obligations). Das Gericht wertete dabei die Geschäftsbeziehung zwischen Value Partners und UBS als »unangemessen eng«, so dass die Beratungsfirma, die angeblich für Leipzigs Wasserwerke arbeitete, in erster Linie das Interesse der Großbank im Auge gehabt hätte.

Jene Finanzwetten waren Anfang 2010 zusammengebrochen und dadurch in Leipzig überhaupt erst bekannt geworden. Seither wird darüber gestritten, wer den Schaden bezahlen soll. KWL und UBS verklagten sich zunächst gegenseitig. Zugleich verfolgten auch andere öffentliche Trägerschaften in Deutschland mit Spannung diesen Prozess 2014 in London, hatten doch viele Kommunen in den Jahren vor der globalen Finanzkrise auf solch riskante Finanzwetten gesetzt.

Doch inzwischen ist der Ausgang wieder offen und Leipzig muss erneut um diese hohe Millionensumme bangen. Denn im letzten Oktober ließ das Londoner Appellationsgericht Court of Appeal eine von UPS beantragte Berufungsverhandlung zu. Auch wenn man sich beim Leipziger Stadtkonzern LVV nach wie vor zuversichtlich gibt, sich »wie schon in erster Instanz auch in der Berufung erfolgreich durchzusetzen«, ist im Rathaus neue Nachdenklichkeit zu spüren. Ein deutliches Indiz dafür liefert inzwischen der Schlussstrich unter einen anderen Deal aus den Zeiten von Jungs Vorgänger im OB-Amt: Leipzig kaufte zu Jahresbeginn sein Trinkwassernetz zurück, das 2003 per Cross Border Leasing (CBL) an den US-Mobilfunkkonzern Verizon veräußert worden war. Und um dieses Abenteuer zu beenden, muss die 570 000-Einwohner-Stadt tief in die Rathausschatulle greifen. Es geht alles in allem um einen Verlust von rund 60 Millionen Euro, auch weil Anwälte und Finanzberater bei der Rückabwicklung der missglückten Spekulation noch einmal kräftig mitverdienen.

Dabei hätte es womöglich gar nicht so weit kommen müssen. Denn der auf CBL-Transaktionen spezialisierte Anwalt Julian Roberts attestierte Leipzig angesichts der mittlerweile gängigen Rechtsprechungen zu diesen Fragen »gute Chancen«, um auch in diesem Fall »vor Gericht eine Unwirksamkeit der Verträge zu erstreiten«. Aber offenbar war Rathauschef Jung und seinen Beratern in diesem Fall ein Ende mit Schrecken lieber als ein Schrecken ohne Ende.

Schließlich hatte die Messestadt zuvor schon bei anderen, ähnlich gelagerten Prozessen bluten müssen. So verlor sie 2003 knapp 76 Millionen Euro in einem Rechtsstreit, den die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) gegen Die Stadt angestrengt hatte. Auch hierbei war es um Kreditausfallversicherungen gegangen, die die damaligen KWL-Chefs ohne demokratischen Beschluss auf eigene Faust - und auch zum eigenen Nutzen - ausgehandelt hatten. Doch das Landgericht Leipzig entschied zugunsten der Schwaben.

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