Snowden, der Exot

Sommerinterviews im ZDF: Gauck, Merkel, Hofreiter, Wagenknecht, Gabriel / Bettina Schausten und ihr Kollege Thomas Walde im »nd«-Gespräch

  • Lesedauer: 4 Min.
Jedes Jahr laden die Leiterin des ZDF-Hauptstadtbüros Bettina Schausten und ihr Kollege Thomas Walde Spitzenpolitiker zum Sommerinterview. Jakob Buhre haben die Beiden erläutert, warum solche Gespräche für beide Seiten von Vorteil sind, warum Angela Merkel eine geübte Antwortgeberin ist und warum das ZDF noch nie den NSA-Whistleblower Edward Snowden interviewt hat.

Frau Schausten, Herr Walde, die Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein sagte kürzlich, man dürfe Sportlern »grundsätzlich alle Fragen stellen«. Gilt das auch für Politiker?
Schausten: Im Prinzip würde ich ihr da zustimmen, insofern, dass wir keine Schere im Kopf haben sollen. Wir lassen uns nicht in irgendeiner Weise vorschreiben, in welche Richtung es gehen soll oder was für Fragen wir stellen. Da gibt es keinerlei Absprachen.

Der Journalist Tilo Jung fragte in der Bundespressekonferenz, warum für Deutschland Saudi-Arabien ein Partner und ISIS ein Feind ist, wenn Saudi-Arabien mehr Menschen hinrichtet als ISIS. Können Sie Angela Merkel so eine Frage stellen?
Schausten: Ich weiß nicht, ob ich die Frage so stellen würde. Jeder stellt seine Fragen so, wie er es für richtig hält. Walde: Es gibt bei Interviews ja einen ganzen Kasten an Instrumenten: Man kann das hammerhart machen, provokant, ironisch - das hängt vom Thema ab. Ich erinnere mich an ein Interview mit Claudia Roth: Damals herrschte riesige Aufregung über Waffenexporte nach Saudi-Arabien weshalb ich ihr ein Zitat vorlas, in der Art »Waffenexporte sind schlimm«. Dem stimmte sie zu - und dann habe ich erklärt, dass das Zitat aus der Zeit der rot-grünen Regierung stammte und somit ihrer Regierung galt. Manchmal führt man die Leute so mehr aufs Glatteis als wenn man bewusst provokant fragt.

Herr Walde, Sie bezeichneten die Interviews mit Spitzenpolitikern einmal als »rein instrumentelle Geschichte«. Was meinten Sie damit?
Walde: Wir treffen uns dort nicht zum privaten Vergnügen, sondern beide Seiten wollen etwas erreichen. Wir wollen möglichst konkrete Antworten und die Politikerinnen und Politiker versuchen, über uns die Bevölkerung zu erreichen, ihre Botschaft loszuwerden. Da ist es ein bisschen sportliches Ringen: Wie viel lässt man davon zu? Wo versucht man deren Strategie zu durchkreuzen? Bei Antworten, die uns zu wolkig erscheinen, sagen wir: Moment, das versuchen wir jetzt nochmal.

Bei den Sommer-Interviews befragen Sie Jahr für Jahr die gleichen Personen …
Schausten: Darin liegt auch ein Reiz. Bei der Bundeskanzlerin wüsste ich nicht, warum ich auf jemand anderen ausweichen sollte, so viele Fernseh-Interviews macht sie dann doch nicht. Walde: Es ist auch so, dass wir Antworten haben wollen, von denen, die in den Parteien eine gewisse Funktion haben. Natürlich könnte es auch reizvoll sein, mal mit einem »Exoten« zu sprechen.

Wie wäre es mit dem NSA-Whistleblower Edward Snowden. Warum wurde er vom ZDF noch nicht befragt?
Walde: Bei »Berlin direkt« geht es darum, Interview-Partner zu haben, die in der politischen Verantwortung stehen.

Snowden ist auch ohne Mandat für viele Menschen relevant. Mit einem Budget von 43 000 Euro pro Sendung könnten Sie doch durchaus nach Moskau fahren.
Schausten: Wir haben einen bestimmten Sendeauftrag und ein Sendeformat. Das kann man auch mal verlassen und das Besondere bieten. Darüber diskutieren wir. Aber wir beschäftigen uns zuvörderst mit den Verantwortlichen der Bundespolitik. Natürlich wäre Snowden ein interessanter Interview-Gast. Ob »Berlin direkt« der richtige Platz wäre, da habe ich Zweifel.

Könnten Sie als Chefin des ZDF-Hauptstadtstudios nicht an anderer Stelle sagen: Wir machen jetzt ein Interview mit Snowden?
Schausten: Die anderen Sendungen sind für sich selbst verantwortlich. Natürlich wäre Maybrit Illner eine Adresse, auch das Morgenmagazin und auch »Berlin direkt«. Jede Redaktion entscheidet für sich.

Im Interview mit Ihnen, Frau Schausten, sagte Angela Merkel im November 2015 in Bezug auf die Türkei: »Immer ist man in Abhängigkeiten - das ist so in einer globalisierten Welt.« Werden Sie nun hartnäckiger nachfragen müssen?
Schausten: Hartnäckigkeit ist gut, aber kein Selbstzweck. Frau Merkel ist eine geübte Antwortgeberin und verrät im Zweifel nur das, was sie verraten möchte. Da kann man hartnäckig nachfragen - am Ende kann ich sie nicht zwingen, Dinge zu sagen, die sie nicht sagen möchte.

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